Der 24-jährige David Kösters gehört seit August zum Schauspielensemble des Gemeinschaftstheaters Krefeld/Mönchengladbach. Wie sein Leben als Reisender und Suchender bis heute verlaufen ist, welche Hürden er dabei nehmen musste, aber auch welche Glücksmomente es prägten, hat uns der sympathische, sportliche, junge Mann mit einem Faible für gutes Essen erzählt.

Ein spätsommerlicher Septembernachmittag an der Steinstraße in Krefeld. David Kösters (24) sitzt bei einer Tasse Kaffee auf dem Balkon seiner gemütlichen Altbau-Maisonettewohnung, schaut ins Grün der Hinterhöfe und zieht an einer Zigarette. Vor ihm liegt das Textbuch zur absurden Komödie „Endspiel“ von Samuel Beckett. Diese Szenerie ist für den Jungschauspieler aus dem Badischen in den vergangenen Wochen zu einem Ritual geworden. Seit August lebt er hier. Anfang September haben die Proben am Gemeinschaftstheater Krefeld/Mönchengladbach begonnen, Premiere ist am 1. November. Zwischen der morgendlichen und abendlichen Probe hat David Kösters Zeit für ein Gespräch über seine noch junge Karriere und sein Leben als Reisender und Suchender.

Der Start von David Kösters am Gemeinschaftstheater war Corona-bedingt ungewöhnlich, aber deshalb nicht weniger herzlich. „Ich bin sehr nett aufgenommen worden. Außerdem war ich hochmotiviert, nach sechs Monaten endlich wieder arbeiten zu können. Als ich zum ersten Mal auf der Bühne stand, fühlte ich mich zwar erst einmal etwas überfordert. Aber schon bei der zweiten Probe war ich wieder sicher, das Fahrrad noch fahren zu können“, resümiert der attraktive junge Mann mit den blauen Augen und den vollen Lippen, der nach einem Absolventenvorspiel in Neuss von Schauspieldirektor Matthias Gehrt zu einem Vorsprechen eingeladen worden war. „Nach zwei Runden stand fest, dass ich den Job bekomme“, freut sich David Kösters. Zu dieser Zeit lebte er noch in Köln – eine Station im Rahmen seines Schauspielstudiums, das er vier Jahre zuvor an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig begonnen hatte. Sie kooperiert mit den Bühnen der Stadt Köln, und so wurde der angehende Theatermann automatisch in das Ensemble eingegliedert.

Ausgerechnet der letzte Tag seines Studiums in der Domstadt bedeutete für David Kösters einen harten Übergang in den Lockdown: „Wir spielten unsere letzte Prüfung, und am nächsten Tag war alles dicht“, erinnert er sich. Es folgten viele Monate Bühnenabstinenz. Die nutzte der Schauspielabsolvent, um eine intensive Zeit mit seiner Freundin zu verbringen, die Schauspielerin am Theater Münster ist. Und er schrieb seine Masterarbeit zum Thema „Aufregung und Nervosität vor dem Spiel“. Die Idee dazu war ihm gekommen, weil er selbst vor Premieren immer großes Lampenfieber verspürt und über das Thema bis dato nichts wusste. Ganz ohne Magengrummeln durfte er dagegen Mitte September sein Ergebnis feiern. Bestanden! Nun ist der 24-jährige sportliche Mann fertig ausgebildeter Schauspieler mit dem Titel „Master of Arts“. Die Früchte seiner Kunst können die Besucher des Gemeinschaftstheaters bald im eingangs erwähnten „Endspiel“ erleben.

„Meinen Freunden war Kultur völlig fremd“
Dabei war Davids Weg zum Schauspieler zunächst nicht vorgezeichnet, wenn man die künstlerischen Berufe seiner Eltern, die beide klassische Musiker sind, einmal außer Acht lässt. „In unserem Dorf, in Efringen-Kirchen, wurde ich zunächst durch meine Freunde geprägt, die alle mit 14 oder 15 Jahren eine Lehre begonnen haben. Ich konnte mir das auch vorstellen, wollte die Schule abbrechen und eine Lehre zum Schreiner anfangen. Aber es gab etwas, das ich besser konnte: Theater spielen.“
Meinen damaligen Freunden war Kultur fremd: sie fand in ihren Familien nicht statt. Deshalb konnten sie meine Begeisterung fürs Theaterspielen auch nicht nachvollziehen. Das wiederum hat bei mir zu einer Ablehnung des intellektuellen Theaters geführt, also einem Theater, das sich nur an Theaterinteressierte wendet. Deshalb ist mein Credo heute, dass es mehr Stücke geben sollte, die alle Menschen verstehen“, betont der junge Künstler, der sicher ist, dass „Endspiel“ jedem Zuschauer einen großen, individuellen Interpretationsspielraum bietet – ganz im Sinne von Samuel Beckett, der seine Texte genau vor diesem Hintergrund anlegte. „Auch wenn das Drama Mitte der Fünfzigerjahre nach dem Korea-Krieg und in der heißen Phase des Kalten Krieges entstanden ist, wollte sich Beckett auf die Frage, was die Szenerie bedeutet, nie auf diesen Umstand festlegen lassen“, erläutert David Kösters und ergänzt: „Heute denken wir vielleicht dabei an die Folgen des Klimawandels.“

„Ich bin sehr nett aufgenommen worden. Außerdem war ich hochmotiviert, nach sechs Monaten endlich wieder arbeiten zu können.”

David Kösters

Mit dem Ziel, Teil einer großen Theaterfamilie zu werden, verließ er 2014 nach dem Realschulabschluss seine Heimat, um eine Trias von Zweijahres-Etappen in Bochum, Leipzig und Köln zu beschreiten. Er erinnert sich: „Meine Mutter machte mich auf TheaterTotal in Bochum aufmerksam. Dort wollte ich überprüfen, ob ich das Zeug zur Schauspielerei habe.“ TheaterTotal gibt jährlich rund 30 Jugendlichen die Möglichkeit, sich in den verschiedensten kreativen Berufen auszuprobieren. Die Teilnehmer werden von international bekannten, professionellen Künstlern in den verschiedensten Sparten ausgebildet. Das sind neben dem Schauspiel auch Tanz, Gesang, Kostümschneiderei, Bühnenbild, Ton und Technik, Regieassistenz, Management, Grafik, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

Eine zweite Haut über Körper und Geist
Nach dem ersten Kulturschock angesichts „verwahrloster Menschen und schmutziger nach Urin stinkender Ecken“ rund um den Bochumer Hauptbahnhof fand der junge Mann aus der badischen Provinz bald Zugang zur Mentalität im Pott. „Ich kann mit der Direktheit der Menschen dort besser umgehen als mit der zurückhaltenden Art der Alemannen“, sagt er und ergänzt: „Außerdem war ich mit dem Wesen der Rheinländer durch meine Mönchengladbacher Verwandtschaft schon vertraut.“

Bei TheaterTotal machte der hoffnungsfrohe Nachwuchsschauspieler allerdings nicht nur gute Erfahrungen. „Mit einer Regisseurin erlebte ich entwürdigende Proben, in denen ich vor Mitschauspielern stundenlang bloßgestellt wurde. Ich fühlte mich, als würde ich gar nichts können“, fasst er diese Momente zusammen. Deshalb versuchte sich David Kösters danach in verschiedenen Assistenzen rund um die Bühne, stellte aber schnell fest, dass ihm das Scheinwerferlicht fehlte. Ein Schlüsselerlebnis bei einer Jugendtheatergruppe im Prinz Regent Theater Bochum hat ihn schlussendlich auf seinen Weg zurückgeführt. Er erinnert sich: „Ich war ganz begeistert davon, wie unsere Regisseurin, Clara Nielebock, mit den Menschen gearbeitet hat. Sie hat es geschafft, dass auch ich wieder Spaß am Spielen entwickeln konnte. In einer Vorstellung habe ich dann etwas sehr Berauschendes gefühlt. Es war ein Moment, in dem alles stimmte. Es war perfekt. Wie eine zweite Realität lebte die Geschichte auf der Bühne.“

Damit David Kösters ab November dieses Jahres jeden Abend die Rolle des Dieners Clov wie eine zweite Haut über Körper und Geist stülpen kann, bedarf es intensiver Proben im Zweischichtsystem, jeweils von 10 bis 14 Uhr und von 19 bis 22 Uhr. Dazwischen ist die „Kür“ angesagt: Text lernen, Stimmtraining, Sprech- und Gesangsunterricht. „Vor allem das Textlernen ist eine Fleißarbeit. Dafür schreibe ich mir viele Texte auf oder verbinde sie mit sinnhaften Gesten, um sie in meinen Körper zu holen. Manchmal flüstere ich ihn auch gegen eine Wand“, schmunzelt er. Diese Methode hat ihm eine Dozentin in Leipzig vermittelt. „Sie hilft tatsächlich, den Kopf freizubekommen von den Unmengen an Textzeilen, die sich dort in die Quere kommen können. Sobald ich vor einer Wand sitze und mir bewusst Ruhe und Zeit nehme, bekommt der Text, den ich dann sehr leise spreche, plötzlich eine große Intensität.

 Dennoch ficht der Schauspieler mit sich selbst regelmäßig auch einen Kampf zwischen seinem Perfektionismus und dem realistisch Machbaren aus. Dem quälenden Widerspruch begegnet er mittlerweile mit der Frage: „Wie schlimm wird das Ergebnis sein, wenn ich es nicht so hinbekomme, wie ich es mir vorstelle?“ Und seine Antwort lautet: „Ich muss meinen eigenen Weg finden, um in der gegebenen Zeit eine gute Arbeit abzuliefern. Mir zu viel zuzumuten, ist definitiv nicht der richtige Weg.“

Kochen, Krafttraining, Blauer Engel
Körperlichen Ausgleich sucht der Jungschauspieler beim Krafttraining, Schwimmen oder Tischtennisspielen. Kulinarischen Ausgleich zur Tiefkühlpizza zwischen den Proben findet er bei Pasta mit Käse und Fischgerichten, einem guten Wein oder auch mal bei einem Bierchen oder einem Whiskey Sour. „Wichtig ist für mich die Qualität“, betont der Hobbykoch, der allerdings zurzeit darunter leidet, „keine anständigen Pfannen und Töpfe“ zu haben. Geistigen Ausgleich findet David Kösters bei Treffen mit seinen neuen Freunden im „Blauen Engel“. „Einer meiner Lieblingsplätze ist übrigens der Stadtwald“, schwärmt der Krefelder auf Zeit, der die Stadt vermutlich in zwei Jahren wieder verlassen wird, um seine berufliche und persönliche Reise fortzusetzen.

Langfristig sieht sich David Kösters auch beim Film oder Fernsehen – allerdings nicht ausschließlich, denn ihm bedeutet das klassische Theaterspielen vor Publikum sehr viel. Sollte ihm die Schauspielerei allerdings irgendwann keinen Spaß mehr machen oder sich die Karriereleiter als zu wackelig herausstellen, könnte er sich auch für eine handwerkliche Tätigkeit begeistern: „Schreinern oder Gärtnern würde mir Spaß machen. Und irgendwann möchte ich auch einmal eine Familie haben wie mein zwei Jahre älterer Bruder, der gerade Nachwuchs bekommen hat.“ Jetzt ist der sympathische 24-Jährige erst einmal angekommen in der Theaterfamilie Krefeld/Mönchengladbach, die den Youngster offenherzig aufgenommen hat – der Beginn von zwei weiteren prägenden Jahren für den Jungschauspieler.

 


 

Endspiel: Ein absurd-komisches Endzeitspiel
„Endspiel“ ist ein grotesker Totentanz am Vorabend der Auslöschung der Menschheit. Die Story: Die letzten Vertreter der Menschheit fristen ihr Dasein eingebunkert und ohne Aussicht auf Erlösung. Verzweifelten Clowns gleich verbringen der blinde und gelähmte Hamm und sein Diener Clov (David Kösters) ihre Zeit mit grotesk anmutenden Alltäglichkeiten, während Hamms Eltern Nagg und Nell in zwei Mülltonnen dahinvegetieren. Angesichts der Unausweichlichkeit des Endes erscheint jede Ernsthaftigkeit lächerlich. Nach „Warten auf Godot“ ist „Endspiel“ der zweite Welterfolg des irischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers Samuel Beckett. Das Gemeinschaftstheater Krefeld/Mönchengladbach zeigt eine deutsche Fassung der bitterbösen Komödie.

David Kösters sagt über seine Rolle: „Das Stück gefällt mir sehr. Ich liebe den Humor und die Vielschichtigkeit des Textes.“

Die Termine: www.theater-kr-mg.de/spielplan/inszenierung/endspiel/

Über den/die Autor/in: Petra Verhasselt

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Tags: , , , , , 0 Kommentare on Neu am Krefelder Theater: David KöstersVeröffentlicht am: 12. Oktober 2020Zuletzt bearbeitet: 16. Februar 20231670 WörterGesamte Aufrufe: 578Tägliche Aufrufe: 28,6 Minuten Lesezeit

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