DER NEUE BALLETTABEND SEIDE-BAND-BANDONEON AM THEATER KREFELD
Wie eine Expedition in eine lautmalerische, klangpoetische Zauberwelt muss das Unterfangen, das sich der Krefelder Heinrich Band ab 1845 vorgenommen hatte, gewesen sein. Denn in seiner Musikalienhandlung am Dionysiusplatz verkaufte sich das damals gängige Handzuginstrument, die deutsche Konzertina, ausgesprochen gut. Man spielte sie zu allen Gelegenheiten: bei Hochzeiten, im Gasthaus, in der guten Stube. Heinrich Band allerdings empfand ihren Tonumfang als zu gering und fasste den Entschluss, an diesemMissstand etwas zu ändern. Er begann mit mühseliger Akribie, die Konzertina weiterzuentwickeln und erreichte schließlich eine Ausdrucksweise, die sein Instrument nicht mehr nur schönklingend wie ein gut gestimmtes Klavier ertönen ließ: Durch den gezielten Einsatz von Spieltechniken konnte er den Luftstrom nun so beeinflussen, dass es knarzte, quietschte, flüsterte oder gar kreischte. Fasziniert von der neuen Möglichkeit, Melodien Gefühle zu verleihen, arbeitete er hingebungsvoll an weiteren Feinschliffen und gab dem Instrument, wie der Vater dem Kind, seinen eigenen Namen: Bandoneon.
Vom Seidenband über Heinrich Band zum Bandoneon
„Ich mag es sehr gerne, Geschichten von Künstlern zu erzählen, die unter Schaffensdruck stehen – und den hat Heinrich Band er- und durchlebt“, beschreibt Robert North eine seiner grundlegenden Motivationen für neue Ballettabende. Denn anlässlich der 650-Jahrfeier der Seidenstadt wurde an ihn als Ballettdirektor des Theaters Krefeld und Mönchengladbach die Idee herangetragen, rund um das Bandoneon einen solchen zu kreieren. Bald galt es, die Frage zu beantworten, ob ein Stück mit reinem Ausdruckstanz zu Stücken für und mit dem insbesondere durch den argentinischen Tango zu Ruhm gelangten Instrument auf die Bühne gebracht werden solle oder in Form eines Handlungsballetts, wie es zu Bands Lebzeiten großen Gefallen fand. Wenig weiß man über das Leben des Krefelders selbst, einiges kann man sich wie in einem fiktionalen Roman aus eigener Vorstellungskraft erdenken.
Über seine Zeit aber ist vieles bekannt. „Der Erzählfaden spann sich nahezu von selbst“, berichtet der Choreograf und führt aus: „Wir kennen die Stadtgeschichte mit ihren Webstuben, wir wissen, wann das Bandoneon gespielt wurde – und uns ist bekannt, wie zu Bands Lebzeiten ein Ballett aufgebaut war.“ Geschichten sollten sie erzählen und dabei bestimmte Formen zeigen. „Ein Geisterreigen oder ein Tanz der Dorfmädchen waren sehr beliebt, was ich mit einem Ensemble darstelle, in dem die Herren die Krefelder Weber darstellen und die Damen die Seide personifizieren“, erläutert er ein historisierendes Element seines neuen Werks. Daneben schlagen sich beispielsweise in einer gut achtminütigen Szene zwischen Heinrich Band und seiner Frau die Schwierigkeiten nieder, die mit dem Versuch einhergehen, etwas zu erfinden. Auch der alltägliche Gebrauch des Bandoneons wird durch das Einflechten von Volkstänzen aufgegriffen.

„Wenn ich mir anschaue, was Heinrich Band mit seiner technischen Weiterentwicklung dem Bandoneon-Spieler an Ausdrucksweisen ermöglicht, kann ich nur zu dem Schluss kommen, dass er ein hervorragender Handwerker und musikalischer Kopf gewesen sein muss“, urteilt Pianist und Komponist André Parfenov über den berühmten Sohn unserer Stadt.
Mit Musik von heute eine Klanggeschichte von damals erzählen
Der Inhalt stand somit fest. Was noch fehlte, war die Musik. Glücklicherweise befindet sich im Theaterensemble mit André Parfenov ein regelrechter Tausendsassa, der das gesamte Corps de ballet mit seinen Fähigkeiten seit Jahren kennt und Robert Norths Arbeitsweise verinnerlicht hat. Darüber hinaus stammen aus seiner Feder stilsichere und einfallsreiche Kompositionen, die bereits mehrfach die Grundlage für ausgezeichnete Kooperationen zwischen beiden Künstlern gebildet haben und auch nun den Klangteppich bilden sollten, auf dem sich die Tanzenden bewegen. „Für mich war es eine ganz neue Herausforderung, für das Bandoneon zu schreiben, da Heinrich Bands Konzeption sich nicht durch die Kenntnis anderer Instrumente erschließt“, kommentiert André Parfenov seine intensive Auseinandersetzung mit einem der größten deutschen Exportschlager des 19. Jahrhunderts.
Immer wieder sendete er Rat suchend seine Entwürfe an den Kölner Bandoneon-Virtuosen Stephan Langenberg, der mit dem Komponisten am Klavier und der Geigerin Iuliana Münch das kammermusikalische Trio des Abends bildet: „Sind meine Ideen überhaupt spielbar? Wie kann ich die enormen Ausdrucksfähigkeiten des Instruments voll ausschöpfen? Darüber gerieten wir in einen höchst interessanten und produktiven Austausch“, berichtet er voller Begeisterung und fasst zusammen: „Entstanden ist eine moderne Sicht auf den historischen Einsatz des Instrumentes mit volksliedhaften und kirchenmusikalischen Elementen, aber auch rhythmisch dominierten Passagen, die die Geräuschkulisse einer Webstube symbolisieren.“ Damit diese sich auch atmosphärisch auf die große Theaterbühne übersetzt, sorgte Ausstat- tungsleiter Udo Hesse für eine variable Bühnengestaltung. Dabei griff er die Stadtgeschichte Krefelds unter anderem mit textilen Bestandteilen von Samt und Seide auf, die auch in den Kostümentwürfen von enormer Bedeutung waren. Am Ende des kreativen Prozesses, in dem ein individuell gesponnener Faden sich mit dem anderen zu einem großen Stoff verweben konnte, steht nun eine in jeder Hinsicht höchst spannende Geschichte, die mit einer beeindruckenden Spannbreite zwischen Lyrisch-Weichem, Rustikal-Kantigem und Leidenschaftlich-Energischem ihre Uraufführung erlebt.
Premiere von ,Seide – Band – Bandoneon‘ am 27. Mai im Theater Krefeld
Weitere Aufführungen:
30. Mai, 2., 10., 16., 18., 21., 23. und 25. Juni sowie ab dem 10. September im Theater Mönchengladbach.
theater-kr-mg.de
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