Als Norma Desmond verabschiedet sich Sopranistin Debra Hays nach 30 Jahren vom Theater Krefeld und Mönchengladbach.
Wir treffen uns coronabedingt mit Abstand am Telefon. „Schade“, dachte ich zunächst. Doch mit ihrer positiven, aufgeschlossenen und sympathischen Art schafft die Sopranistin Debra Hays sogleich eine vertraute Nähe. Die US-Amerikanerin nimmt uns mit auf eine besondere Weltreise durch ihr Leben voller Musikalität – von ihrer Heimat Oklahoma über Stationen in Houston und Dallas bis an den Niederrhein, wo sie seit der Spielzeit 1991/1992 am Theater Krefeld und Mönchengladbach ihr berufliches Zuhause gefunden hat. Nach 30 Jahren setzt sie mit ihrer glanzvollen Paraderolle als Norma Desmond im Musical „Sunset Boulevard“ von Andrew Lloyd Webber einen fulminanten Schlussakkord, der lange nachhallen wird und zugleich das Ende einer beispiellosen Karriere mit tragenden Rollen in 75 Opern und über 125 Partien einläutet.
Vorhang auf zum 1. Akt: Freude an Musik als Triebfeder für eine profunde Ausbildung
Nein, es war in jungen Jahren nicht ihr Lebensplan, als gefeierter Opernstar die Bühnen der Welt zu erobern. Und nein, sie begeistert sich nicht allein für klassische Musik, sondern dreht auch schon mal das Autoradio voll auf, wenn „Klassik-Rock“ der 70er-Jahre ertönt – „ihre Musik“, mit der sie aufgewachsen ist. „Schon als Kinder haben meine Schwester und ich ohne elterliche Vorgaben oder gar Zwänge gern und viel gesungen“, beschreibt Debra Hays ihre ausgeprägte Zuneigung zur Musik, „später in der Schule und in der Kirche wurde ebenfalls ständig gesungen. Zudem habe ich Klavierspielen gelernt.“
Ihr Enthusiasmus führte schließlich dazu, ihren Bachelor in „Music Education“ zu machen. Aufbauend darauf folgte der Master in „Voice Performance“. „Amerika bietet in der musikalischen Ausbildung enorme Möglichkeiten. Studierende können an der Houston University gleich mehrere große Produktionen pro Jahr gestalten, da die Uni sogar über ein eigenes Opernhaus verfügt – mit ein Grund, warum in Deutschland junge, vollausgebildete Musiker aus Amerika willkommen sind. Denn sie haben bereits unterschiedliche Rollen im Repertoire“, erklärt sie. Da sich in den USA mit guten Gesangsprädikaten allein nicht zwangsläufig der Lebensunterhalt bestreiten lässt, gehören auch Stationen als Musiklehrerin und Sekretärin in einem Ölkonzern zu Debra Hays Lebenschronik. Ein gewonnener Gesangswettbewerb, Engagements an der Houston Grand Opera und der Lyric Opera of Dallas motivieren schließlich die weiteren Schritte.
Vorhang auf zum 2. Akt: Sprung in die weite Welt und Ankunft bei einer musikalischen Familie
„Ich war jung, offen und neugierig und wollte wissen, was die Welt zu bieten hat. Mal für ein paar Jahre woanders eintauchen und eine andere Sprache lernen“, bekennt Debra Hays ihre Entscheidung, von Amerika direkt nach Deutschland zu gehen. Warum wurde aus der ursprünglich angedachten „Stippvisite“ ein lebensbegleitender Aufenthalt am Krefelder und Gladbacher Theater? „Damals war viel im Umbruch. Ein Intendantenwechsel führte dazu, dass viele neu ins Ensemble kamen. Wir sind praktisch von Beginn an gut miteinander zusammengewachsen – mehr als nur ein Team, was ohnehin im Theater unabdingbar ist. Wir waren schon eher wie eine Familie. Letztendlich waren es über die Jahre nur wenige Wechsel. Das führt zu enormer Vertrautheit, auch beim Publikum. Es drückt vor allem eins aus: Kontinuität und Qualität.“
Was man in anderen Berufswelten als Personalentwicklung bezeichnen könnte, waren für Debra Hays immer wieder Chancen, sich in unterschiedlichsten Herausforderungen und Rollen weiterzuentwickeln. „Und diese Gelegenheiten wurden mir stets gegeben“, freut sich die Sopranistin. Die universell einsetzbare Sängerin wirkte so in unzähligen Partien mit. Sie war Susanna in „Le Nozze di Figaro“ (Mozart), Musetta in „La Bohème“ (Puccini), Lisa in der Operette „Das Land des Lächelns“ (Léhar), Sophie in „Der Rosenkavalier“ (Strauss), Gretel in „Hänsel und Gretel“ (Humperdinck), Gilda in „Rigoletto“ (Verdi) und Maria in der „West Side Story“ (Bernstein). Hinzu kamen auch Raritäten wie unter anderem „Candide“ von Bernstein, „Die Welt auf dem Mond“ von Haydn oder „Das Frauenorchester von Ausschwitz“ von Heucke. Dass sie sich bei Mozart immer besonders wohl gefühlt habe, sei kein Geheimnis.
Vorhang auf zum 3. Akt: Lampenfieber und die Wertschätzung des Publikums
„Nein, es hört nie auf, das Lampenfieber. Manchmal habe ich den Eindruck, dass mit zunehmenden Alter die Empfindsamkeit dafür zunimmt“, bekennt die sympathische Sängerin. „Vielleicht wird man halt sensibler gegenüber seinem eigenen Körperempfinden. Es treten Fragen auf: Kann ich noch Schritt halten? Passt die Rolle, um authentisch zu bleiben? Damit werden Kolleginnen und Kollegen aus dem Film-Business oder beim Ballett schon in jüngeren Jahren konfrontiert.“ Eine weitere Form der Anspannung betrifft die Reaktion des Publikums, nachdem der Vorhang gefallen ist. „Tatsächlich spüre ich am Applaus, wie unsere Vorführung angekommen ist. Er klingt dann verhalten, wohlwollend oder gar freudig überschwänglich. Applaus ist ein Gradmesser für unsere Leistung und, ehrlich gesagt, eine befriedigende Geste, weil es uns als Akteuren Energie und Motivation zurückgibt – eben eine besondere Form der Wertschätzung. Konstruktive Kritiken berühren mich auch, solange sie fair reflektiert sind und von handwerklicher Expertise zeugen.“
Vorhang zu nach dem letzten Akt: Von neuen Freiheiten und der Lust am Abenteuer Leben
„Ich empfinde es als großen Geschenk, die letzte große Rolle als Norma Desmond spielen zu dürfen – eine tragische Figur, die als alternde Diva in der neuen Hollywood-Ära nahtlos an alte Zeiten anknüpfen will und letztendlich daran scheitert. Im Grunde bedeutet es, man sollte dann aufhören, wenn es am schönsten ist“, beschreibt die Sängerin die Rolle. Und was kommt danach? Nach so einem intensiven, aktiven, abwechslungsreichen und von Disziplin getragenen kreativen Wirken? Debra Hays beschreibt es in ihrer optimistischen und lebensbejahenden Art: „Neue Freiheiten genießen. Nicht mehr auf Knopfdruck präsent sein. Weiter die Welt erfahren, andere Menschen kennenlernen. Ich möchte reisen, ich esse gern international. Ich bin nicht mehr darauf angewiesen, meine alte Heimat in Amerika nur in den spielfreien Pausen ausgerechnet in der Sommerhitze zu besuchen. Ich kann Geburtstage oder Weihnachtstage nutzen, wo wir ansonsten Präsenzpflicht haben.“
Jungen Menschen möchte sie Mut machen. Jeder habe schließlich etwas in sich, was er gern macht. Das führt einen im Laufe der Zeit zu den richtigen Türen. Dazu gehört, Dinge einfach auszuprobieren und über den Tellerrand zu schauen. Und sich vor allem nicht als Mittelpunkt der Welt zu sehen. Das glaubt man ihr gern und unbestritten. Eine Diva ist für Debra Hays nur eine Rolle. Das wahre Leben findet auf einer anderen Bühne statt. Wir wünschen ihr weiterhin: „Toi, toi, toi!“
Weitere Aufführungen von „Sunset Boulevard“ im Theater Krefeld:
19. April, 15. und 28. Mai, 9. und 12. Juni
www.theater-kr-mg.de
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