Dank intensiver Forschung und hoher Investitionen helfen uns pharmazeutische Produkte: Sie heilen Krankheiten, verringern Schmerzen, verbessern unsere Lebensqualität und steigern mitunter unser Lebensalter. Attribute, die mittlerweile als selbstverständlich erscheinen. Gehen wir wertschätzend damit um? Welche Nebenwirkungen erzeugen wir selbst? Ist uns bewusst, dass allein in Deutschland im Jahr Medikamente und deren Verpackungen im Wert von geschätzten fünf Milliarden Euro als sogenannter „Pharma-Müll“ weggeworfen werden?
Diesen negativen Befund möchte der Internist und Kardiologe Dr. Dorian Recker näher ins Bewusstsein rücken. Geboren in den USA, aufgewachsen in Bayern, studiert an den Universitäten Lyon und Mainz ist er seit 1996 in der Gemeinschaftspraxis für Innere Medizin, Kardiologie und Ernährungsmedizin an der Uerdinger Straße 62 in Krefeld niedergelassen. „Schon seit langer Zeit beobachte ich die Verschwendung von Ressourcen – insbesondere bei Medikamenten“, bekundet der Mediziner. „Letztendlich hat mich meine Frau inspiriert. Als Apothekerin brachte sie eines Tages einen großen Müllbeutel mit nach Hause – prall gefüllt mit angebrochenen Tabletten-Packungen und Spritzen. Und alles wäre noch sehr lange Zeit verwertbar gewesen.“
Seit 2009 sind Apotheken nach einer Novellierung der EU-Verpackungsordnung nicht mehr zur Rücknahme verpflichtet. Regional unterschiedlich regeln das Kommunen und Gemeinden entweder über den Hausmüll und an bestimmten Recyclingstandorten.
Pharmamüll, der als Mahnmal weiterwirkt
Durch seinen Vater, der als freischaffender Künstler und Restaurator tätig war, hatte Recker von Kindheit an eine enge Anbindung an Kunst und Kultur. So entwickelte er schließlich die Idee, aus Pharmamüll Kunstwerke zu kreieren. Mit außergewöhnlichen Perspektiven und ästhetischer Ausstrahlung. Um Aufmerksamkeit zu schaffen, zu emotionalisieren und zu sensibilisieren.
Für den weiteren kreativen Prozess bis hin zum gemeinsamen Kunstprojekt stand Grafik-Designer Andreas Willems, Absolvent der ehemaligen Werkkunstschule Krefeld und professioneller Fotograf, zur Seite. Seit 17 Jahren als Patient vertraut, wuchs über die Jahre eine freundschaftliche Beziehung durch das gemeinsame Interesse an Kunst und Fotografie. „Ich war sofort begeistert, die Installationen und Collagen aus unzähligen Medikamenten und Verpackungen mitzugestalten, fotografisch in Szene zu setzen und digital ausdrucksstark zu retuschieren“, erzählt Willems. Entstanden sind detailreiche Bildmotive, die überwiegend auf großformatige Alu-Dibond-Platten produziert wurden. Die Kunstwerke zeigen alltägliche Szenen, die Geschichten erzählen. Sie laden ein, einzutauchen, zu ergründen und zu entdecken. Durch die nahblickende Makrofotografie wird unsere Welt regelrecht auf den Kopf gestellt: Die installierten und collagierten Medikamente und Verpackungen wirken überdimensional groß. Miniaturfiguren verstärken den Kontrast effektvoll.
So zeigt das Kunstwerk „PHARMA-CITY“ senkrecht aufgestellte und eng aneinandergereihte Pillen-Verpackungen wie Wolkenkratzer, anonym, kalt und uniform. Dazwischen bewegen sich winzige Menschen – erdrückt und einsam. Die Stadt wirkt unnahbar, kühl und leblos. Ein Leben in Anonymität, wo jeder auf sich selbst gestellt ist.
Das Kunstwerk „CORONA-BEACH“ thematisiere die momentane Pandemie, so Recker: „Die unterschiedlichen Blau-Farbtöne der Schutz-Masken zu Beginn der Pandemie erweckten bei mir spontan die Assoziation zu Meer und Karibik, nicht wissend, dass kurze Zeit später der Sommerurlaub zum Reizthema werden würde. Menschen wünschen sich das Schöne, Vertraute, die Sorglosigkeit und Unbekümmertheit. Im Unterbewusstsein spüren wir aber die Zäsur. Nichts wird mehr so sein wie zuvor. Corona Beach steht als Mahnmal der Pandemie.“
Zukunftsorientierte Rezeptur: Demut, Respekt und Wertschätzung
Welche pragmatischen Lösungen können helfen? „Pharmaindustrie und Krankenkassen sind an Verordnung von Großpackungen interessiert, zumal es kaum einen wirtschaftlichen Unterschied zwischen einer 50-er und einer 100-er Packung besteht“, erläutert der Facharzt und ergänzt: „Ein großes Problem stellt die sogenannte Therapietreue dar. Man geht davon aus, dass chronisch Kranke nur in 50 % der Fälle auf Dauer die vom Arzt verordnete Medikation einnehmen. In keinem Fall sollten Medikamente über Toilette oder Waschbecken entsorgt werden. Empfehlenswert ist immer ein intensives Gespräch über die Medikation mit dem behandelnden Arzt.“ In einem gemeinschaftlichen Statement schreiben Recker und Willems, dass sie für das Problem Pharmamüll sensibilisieren wollen, das symbolisch für viele Probleme unserer Konsumgesellschaft stehe: „Wir wollen nicht anklagen, sondern wir wünschen uns mehr Demut, Wertschätzung und respektvollen Umgang mit den Dingen, die wir geschaffen haben. Zusammen ließe sich an künftigen Verbesserungen und gemeinsamen Lösungen arbeiten.“
Unter dem Akronym DRAW präsentieren beide Künstler ihre Werke aktuell in der Gemeinschaftspraxis Recker, Krater, Fahlenbrach, Uerdinger Straße 62 und auf www.awi-design.de sowie Kontaktaufnahme: drdrecker@aol.com.
Über den Verkauf der Kunstwerke sollen Organisationen unterstützt werden, die ähnliche Intentionen verfolgen (foodsharing, sirplus, action medeor).
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