Krefeld ist Sportstadt. Eishockey, Feldhockey, Reiten und Co. erfahren hier einen besonderen Stellenwert. Auch das Tennis ist hier groß. Allein mehr als zwei Dutzend Vereine zählt die Stadt, die Kinder und Erwachsene das Rückschlagspiel lehren – einige davon überregional bekannt. Erst kürzlich hat eine Krefelderin sogar die Ü60-Tennisweltmeisterschaft gewonnen. Doch es gibt Menschen, die leider so weit unter dem Radar der Aufmerksamkeit bleiben, dass sie in Krefeld lange gar nicht trainieren konnten: Menschen mit geistiger Behinderung. Jürgen Leffers und Felix Gorissen haben das vor rund zwei Jahren endlich geändert und die Tennisabteilung ihres Heimvereins um eine Inklusionsgruppe bereichert.
Quo vadis CSV Marathon?
Als der Tennisverein des CSV Marathon im Rahmen eines Workshops 2018 vor der großen Frage stand, wie und wohin er sich künftig weiterentwickeln könnte, nutzen die beiden ihre Chance, die Idee eines professionellen Vereins für Menschen mit geistiger Behinderung anzubringen. Jürgen Leffers ist selbst Vater eines Jungen mit kognitiver Einschränkung, Felix Gorissen arbeitet als Fachergotherapeut für Kinder mit Downsyndrom.
Als Hobbysport sei Tennis für junge Menschen mit geistiger Behinderung hervorragend geeignet, erklären die beiden Krefelder. Denn anders als beim Fußball oder dem in Krefeld so beliebten Hockey könnten sich die Kinder hier auf eine überschaubare Szenerie konzentrieren und würden dennoch motorisch herausgefordert. „Ich habe schon früh angefangen, für meinen Sohn regelmäßig nach Sport-Angeboten zu schauen. Fußball gab es, aber danach ist tote Hose für Kinder mit Behinderung. Und für Nils ist Fußball einfach viel zu komplex. Tennis hingegen ist viel einfacher zu verstehen“, erklärt Jürgen Leffers an einem sonnigen Samstagvormittag, auf der Terrasse des Vereinscafés sitzend.
Das CSV Special Team und sein großer Bruder
Nils spielt inzwischen schon seit zehn Jahren mit seinem Vater Tennis und liebt den Sport heiß und innig. Zum Training kommt er gemeinsam mit seinem besten Freund Olli im leuchtend roten FC Bayern-Trikot, breit lächelnd und hoch motiviert. Olli ist neu im Tennisclub – eigentlich sei er ein Fußballtyp, aber Nils habe ihn überzeugt, mal einen Schläger in die Hand zu nehmen. Für das Special Team ist Nils als eines der Gründungsmitglieder fast so etwas wie eine Großer-Bruder-Figur geworden. Als wir mit ihm über einen knirschenden kleinen Pfad zum Platz laufen, erzählt er stolz, dass er am nächsten Tag einen Wettkampf spielen werde: „Morgen hab‘ ich Medenspiel bei der ersten Herren, um neun Uhr. Da muss ich fit sein.“ Auf der Asche angelangt, werden die Teamkollegen fröhlich begrüßt. Die zweite Gruppe ist heute zu fünft und bunt gemischt: Nils und Olli sind beide Anfang 20, Guido ist mit seinen 54 Jahren Gruppenältester, Marek und Fred mit 13 und 15 Jahren die Jüngsten im Team. Aktuell trainieren jeden Samstag 15 Jungs und Mädels, unterteilt in drei Gruppen, nacheinander je eine Stunde auf dem großen, grün umschlossenen Gelände des CSV Marathon.
Charakterköpfe von 13 bis 54
Ihre Eltern bezeichnen sie liebevoll als „Kinder“, obwohl viele der Spielerinnen und Spieler bereits weit über 20 sind und das älteste Mitglied schon die 54 geknackt hat. Doch das Alter hat hier wenig Bedeutung. Viele von ihnen werden Kinder bleiben, die auf ein starkes soziales Netzwerk und liebevolle Betreuung angewiesen sind. Umso wichtiger sei eine lebendige Gruppendynamik, in der Freundschaften geknüpft werden und die Eltern eine Gelegenheit haben, sich auszutauschen, erzählt Felix Gorissen: „Wir haben hier Menschen mit jeglichen Arten kognitiver, teils auch körperlicher, Behinderungen dabei. Ich persönlich kenne viele von ihnen, seit sie ein Jahr alt sind, weil ich sie als Ergotherapeut in ihren ersten Lebensjahren gefördert habe“, beschreibt er. „Und sie kennen sich gegenseitig teilweise auch schon sehr lange: aus dem Kindergarten, der Schule oder aus dem HPZ. Wenn sie sich hier wiedertreffen, entsteht ein unwahrscheinlicher sozialer Interaktionskontakt, der uns sehr am Herzen liegt.“
Mit Spaß und Anspruch zum Teamgeist
Trainer Nick Schreiber, der abwechselnd mit Caro Dückers die Gruppe trainiert, sorgt dafür, dass seine Schützlinge sich in der Stunde Training ausreichend auspowern. „Ich bin selber zwar durch und durch Fußballer, aber ich habe die nötigen Trainerlizenzen im Bereich Breitensport, und die Samstage hier machen mir echt Spaß“, erzählt der selbstbewusste Tönisvorster. Nick coacht seine Schützlinge mit Humor, aber auch mit Anspruch. Hier geht es nicht um pure Beschäftigung, sondern genauso um persönliche Fortschritte und Erfolgserlebnisse. „So, komm! Und rüber!“, motiviert er mit aufmerksamem Blick, als wir in der prallen Mittagssonne Aufschläge üben. Dazu kommen Motorik- und Geschwindigkeitstraining, Gruppen- und Zielspiel. Das Niveau ist weit auseinander – aber das ist nicht schlimm. „Falsches Rot. Aber egal“, lacht Nick, als wir abwechselnd auf gelbe und rote Hütchen zielen sollen und der Ball aus Versehen in die gelbe Ecke fliegt. Es wird insgesamt viel gelacht. Aber vor allem: Angefeuert, gelobt und abgeklatscht.
„Auf Dauer ist das Ziel schon, dass sie über die Freude am Spiel und die regelmäßige Bewegung auch ein gewisses Leistungsniveau erreichen. Das dauert seine Zeit, aber das sind motivierende Erfahrungen“, erzählt Felix Gorissen. Bei aller Ambition werde die gesundheitliche Unversehrtheit der Spieler selbstverständlich mitbedacht, erklärt der Ergotherapeut: „Wir checken ab, ob die Kinder einen Herzfehler haben, Diabetiker sind oder andere gesundheitliche Einschränkungen aufweisen, damit wir wissen, wie weit wir sie individuell belasten können. Da legen wir sehr großen Wert drauf.“
Wertschätzung und Achtsamkeit
Nils achtet mit darauf, dass es seinen Teamkollegen gut geht. Wie ein höflicher Gastgeber erkundigt er sich nach dem Befinden jedes einzelnen, lobt, wenn etwas gut gelingt und sorgt mit seiner fröhlichen kommunikativen Art für einen regen Austausch in den regelmäßigen Trinkpausen – man quatscht über den Alltag, die Beziehung und die Erlebnisse der letzten Zeit.
An der Bande schauen viele Eltern dem Team beim Spielen zu. Manche von ihnen sind sogar selbst im Club aktiv, um ein gemeinsames Hobby mit ihren Kindern teilen zu können. „Ich hoffe, dass wir noch weitere Eltern und Freunde dazu bekommen, mitzuspielen. Das Tolle am Tennis ist ja, dass Jung, Alt, Männlein, Weiblein das spielen können – da kann jeder dabei sein“, findet Jürgen Leffers. „Mein Traum wäre es, dass man die Eltern motiviert, gemeinsam als Familie einzutreten und hier zusammen zu spielen.“
Ein wertvolles Projekt
Förder- und Sponsorengelder helfen der Gruppe, die Kosten für Hallennutzung und sonstige Ausgaben, die neben der Vereinsmitgliedschaft anfallen, aufzubringen. Aber jede zusätzliche Unterstützung ist wichtig, um dieses besondere, wertvolle Angebot für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung fortleben zu lassen. Ein weiteres wünschenswertes Ziel wäre es, diesen und andere Inklusionsgruppen eine bessere Anbindung an den „Allgemeinsport“ zu ermöglichen und ihnen eine breitere Aufmerksamkeit zu verschaffen. Die Jungs und Mädels des CSV Marathon, ihre Eltern und Trainer, lassen jeden teilhaben. Und das sollte andersherum genauso geschehen.
Kontaktdaten sowie aktuelle Informationen über das Special Team des CSV Marathon unter: www.csv-tennis.de/inklusion. Schnuppertrainings sind auch kurzfristig möglich.
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