In Bulgarien wird zu Weihnachten eine Geldmünze in einem Brotlaib versteckt. Dem freudigen Finder, der beim Weihnachtsmahl die Münze entdeckt, wird im nächsten Jahr großes Glück vorausgesagt. In der Republik Moldau gibt es ein Regierungsprogramm, das an der Minimierung von Salz im Brot arbeitet. Denn angeblich nehmen die Bewohner über ihr Lieblingslebensmittel so viel Salz zu sich, dass sie die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlene Menge im Verzehr mal eben verdoppeln. Und in Belarus war viele Jahre lang die Hefe völlig unbekannt, sodass ein typischer Laib auch heutzutage noch meist mit einem eigenen, regionalen Gärstoff zubereitet wird.
Brot bedeutet Genuss. Brot symbolisiert Leben, so glauben es noch heute etliche Religionen. Und Brot schafft vor allem Tradition. Es wundert deswegen nicht, dass das Stadtmarketing Krefeld und der Fachbereich Migration und Integration im neuen Kochbuch „Geschmacksache“ dem leckeren Laib einen eigenen Themenbereich widmen. 65 Protagonisten aus den meistvertretenen Nationen in der Seidenstadt stellen auf 280 Seiten nicht nur ihre Lieblingsrezepte aus der Heimat vor, sondern schildern auch, wie in ihrer Kultur die Brottradition gelebt wird. In diesem Rahmen kommt auch Rudolf Weißert als Vertreter der Niederrheinischen Bäcker-Innung Krefeld zu Wort. „Die deutsche Brotkultur wurde 2014 zum UNESCO Weltkulturerbe ernannt“, schildert der 66-Jährige. „In keinem Land der Welt ist die Brotvielfalt so groß wie in unserem.“ Lagen früher, als sich Weißert bei seinem Vater in der familiengegründeten Bäckerei in der Ausbildung befand, nur rund fünf unterschiedliche Brotsorten in der Auslage, kann der Bäckereibetrieb heute wöchentlich rund 40 verschiedene Sorten anbieten. Insgesamt gibt es fast 4.000 Brotsorten in Deutschland. „Der deutsche Gaumen ist rund um das Brot anspruchsvoll“, sagt der Krefelder schmunzelnd und ergänzt: „Natürlich basiert die Herstellung eines Brotes immer darauf, welche Zutaten im Land verfügbar sind. In Deutschland merkt man zum Beispiel, dass alte Getreidesorten wie Emmer oder Grünkern wieder angebaut werden. Dadurch finden sie ins Brot.“
Die Brotkultur transportiert Religion, Sozialgefüge und Tradition
Die regionalen Gegebenheiten führen zum Beispiel dazu, dass in Teilen Afrikas schon seit vielen Jahren eine Alternativzutat zu Brot verarbeitet wird. „Teff“ ist ein Getreide aus der Familie der Süßgräser, das seit über 5.000 Jahren in Nord-Ost Afrika kultiviert wird. In Eritrea ist das kleinste Getreide der Welt sogar Hauptbestandteil von Backwaren. Und auch in den USA wird der Geschmack von der Anbaukultur beeinflusst. Anders als in Deutschland, wird Roggen hier fast gar nicht bewirtschaftet. „Die Brotkultur gibt gleichzeitig einen Einblick in die politische Ausrichtung des Landes“, führt Weißert fort. Damit bezieht er sich auf das aufwendige Backen von Sauerteigbrot. Im alten Backhandwerk der Deutschen muss ein Sauerteig rund 24 Stunden gären, bis er verarbeitet werden kann. In den Vereinigten Staaten, so ist sich Weißert sicher, verzichten die Hersteller bewusst auf diesen Effekt: „Amerika ist immer noch kapitalistisch geprägt. Mit einem Roggenbrot kann man nur wenig Geld verdienen. Es dauert einfach zu lange in der Herstellung.“ Deswegen nutzen Amerikaner Farbstoffe, um den Laib dunkler zu gestalten, Geschmack und Konsistenz bleiben dabei aber gleich: pappig und weich.
Auch religiöse Aspekte können aus der Brotkultur abgelesen werden. Ob Christen, Juden, Moslems oder Hindus – in vielen Religionen hat das Brot eine besondere religiöse Bedeutung und wird zu Festen serviert. In der Ukraine ist beispielsweise das „Kolatsche“ zu Weihnachten sehr beliebt. Das ringförmige Brot wird auf der Oberseite mit einem Kreuz verziert. Für die jüdische Kultur steht das „Mazze“, dem sogar das Pessachfest oder das Chag ha-Mazzot als Fest der ungesäuerten Brote gewidmet ist. Und auch in der arabischen Kultur ist das „Pide“ aus dem Fastenbrechen im Ramadan nicht wegzudenken. Von all diesen Traditionen erzählen die Wahlkrefelder aus unterschiedlichen Nationen im neuen Werk der Stadt Krefeld. Krefelder Spezialitäten: Krefelder Graubrot und Krefelder Pottweck „Wussten Sie denn, dass es sogar eigene Krefelder Brotspezialitäten gibt?“, fragt Weißert in den Raum. Diese Spezialitäten entstanden, als Weißert selbst noch sein Pausenbrot in der Schule aus Brotpapier auspackte. „Ich kenne noch die Zeit, in der Bäckereien sonntags nicht öffnen und mein Vater in der Backstube nachts nicht arbeiten durfte“, erinnert er sich. Schon damals war das klassische Mischbrot aus Weizen- und Roggenmehl der Liebling der Deutschen. Ob als Stulle in der Schule, zum Abendessen mit Wurst und Käse oder mit Butter als schnelle Schnitte für zwischendurch – Deutschland liebte die knackige Kruste mit dem zarten, leicht säuerlichen Geschmack. „Und so gaben die Krefelder ihm eben einen eigenen Namen, das Krefelder Graubrot“, erzählt er. Mit dem Wochenendgenuss entstand in der gleichen Zeit eine weitere lokale Spezialität.
„Es gibt doch nichts Schöneres, als einen Rosinenstuten mit Butter, Käse und einer Scheibe Schwarzbrot, oder?“, findet Weißert. Der „Krefelder Pottweck“ ist ein Synonym für den Sonntagsstuten in der Seidenstadt. Richtig zubereitet geht er weich und fluffig in der Form auf und wird traditionell zum Wochenende serviert. Und Weißert ist sich sicher: „Ich glaube, dass auch noch heute viele Familien diese Tradition fortsetzen. Denn Brot schmeckt, egal aus welchem Land wir kommen, immer nach Heimat.“
Das Krefelder Kochbuch „Geschmackssache“ erscheint im Laufe der Adventszeit. Weitere Informationen und Verkaufsstellen finden Sie online auf www.krefelder-perspektivwechsel.de
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