Er ist der stützende Klangteppich, der vielköpfige Anspielpartner der Solisten, singt mal als Menschenmenge, mal als Engelsschar, hier als Gang-Mitglieder in der West Side Story, dort als abergläubische Kneipenbesucher im Tanz der Vampire. Der Opernchor besetzt eine unerlässliche Rolle im Theateralltag – und steht in der allgemeinen Aufmerksamkeit doch oft hinter den Solodarbietungen zurück. Dabei wäre ein Nabucco nichts ohne den kraftvollen Gefangenenchor, die Carmina Burana ein musikalischer Flickenteppich ohne die mal bombastisch anschwellenden, mal in intensives Pianissimo zurückweichenden Stimmen einer perfekten Polyfonie aus Sopran, Alt, Tenor und Bass. Diese zu erreichen, braucht Routine. Und die ist in Coronazeiten nur schwer aufrechtzuerhalten.
Maria Benyumova steht allein auf der schwarzen Theaterbühne, hinter ihr der „Eiserne“, ein dunkler Metallvorhang, der den Arbeits- vom Auftrittsbereich trennt. Neben ihr steht ein großer schwarzer Flügel, daran eine junge Pianistin in Erwartung ihres Einsatzes. Auf die rund 700 gelben Klappsessel des Zuschauerraums haben sich heute, mit großem Abstand, gerade einmal elf Damen verteilt: Altistinnen und Sopranistinnen des Opernchors.
Normalerweise absolvieren rund 32 Chorsängerinnen und -sänger im Chorsaal unter dem Bühnenraum wöchentlich mehrere musikalische Proben und erarbeiten die Inszenierungen mit Regisseuren in den szenischen Proben. Dazu kommen die kostümierten Endproben – und natürlich Vorstellungen. Seit Corona unseren Alltag bestimmt, muss mehr Platz her, und der Chor halbiert üben: entweder Damen und Herren getrennt oder in verkleinerten Stimmgrüppchen zusammengewürfelt. „Seit der Pandemie war im Grunde nur kurzfristige Planung im Zwei-Wochen-Takt möglich, von einer Ministerpräsidentenkonferenz zur nächsten“, erzählt die energische junge Frau in der Probenpause.
Im März 2020 hat der Chor zuletzt auf der Bühne gestanden, zur Opernpremiere von „Rusalka“, die spontan ohne Publikum stattfinden musste. Seither wurde ins Ungewisse hineingeprobt. „Othello darf nicht platzen“, „Madame Butterfly“, die Operngala, ein Weihnachtskonzert und die Donizetti-Oper „Regimentstochter“ kamen allesamt nicht zur Aufführung. „Aber ich bin froh darüber, überhaupt proben zu können. Als Musikerin freue ich mich über die Aufgabe, Werke wie ‚Die Schöpfung‘, ‚Ein Deutsches Requiem‘ oder ‚Der Fliegende Holländer‘ einzustudieren“, erzählt Benyumova bescheiden. Trotz der erschwerten Bedingungen – großer Abstände und verkleinerter Besetzung – sei das Probenangebot auch von den Sängerinnen und Sängern dankbar angenommen worden.
Diese Dankbarkeit ist auch bei unserem Probenbesuch spürbar. Nach kurzer Aufwärmphase scheinen sich die Damen mit „Sunset Boulevard“ sichtlich wohlzufühlen. „Guten Morgen, mir geht’s super! Habe einen Job bei Cuper!“, swingen sie das zweite Stück des Fifties-Musicals. Während Maria Benyumova dirigiert, wirkt sie fast als tanze sie, rhythmisch mitwippend, mit lockeren, aber gezielten Armbewegungen, singt sie hier und da eine Solistenrolle an, ersetzt Bass und Tenor als Einsatzhilfe. Ein beeindruckendes Multitasking.
Seit Beginn der Pandemie muss die junge Chordirektorin und Kapellmeisterin eine ganz neue Dimension des eigenen Jobs erfüllen. Dass sie heute von einer Pianistin unterstützt wird, ist Luxus. Sonst übernimmt sie diese Rolle selbst, während sie dirigieren und die abwesenden Stimmgruppen ansingen muss, um den jeweils Probenden ein Gefühl für das Stück zu geben. Wer selbst schon einmal im Chor gesungen hat, weiß, wie die anderen Stimmen der eigenen als auditive Leitplanken dienen – egal, wie fleißig man das Stück geübt hat. „Es ist schwierig, zu hören, zu spielen, zu dirigieren und zu singen – denn wenn Stimmgruppen fehlen, fehlt auch eine wichtige Orientierung für die Sängerinnen und Sänger, die ich ersetzen muss. Ein Chor ist ein Team. In jeder Stimme gibt es offensive und defensive Sänger. Da ist es nicht dasselbe, etwas reinzusingen oder reinzuspielen“, beschreibt Maria Benyumova. Ihre Hauptaufgabe ist es jetzt, die Ausdauer ihres Teams aufrechtzuerhalten.
Solange die Stücke nicht zur Aufführung kommen können, absolviert sie mit ihren Sängerinnen und Sängern eine Art Basis-Probenroutine. „Rohdaten schaffen“, nennt sie das. „Die geben mir dann einen Vorsprung, wenn der Theaterbetrieb wirklich wieder losgeht. So hat der Chor schon mal einen Grundstock an Erfahrung mit den Stücken – aber wir proben sie nicht bis ins letzte Detail“, erläutert sie. Dass ihr Team in der Lage ist, den „Bühnenmodus“ wieder anzuknipsen, konnte Benyumova bereits feststellen – im Rahmen einer professionellen Aufnahme des „Fliegenden Holländers“, dem Highlight des Probenjahres 2020. „Das hat wahnsinnigen Spaß gemacht – denn genauso wie sich die Anwesenheit der Gäste auf die Probenspannung auswirkt, funktioniert es auch, wenn man ein Mikro vor sich stehen hat“, erklärt die Chordirektorin.
Nach dem beschwingten Sunset Boulevard folgt „Ein Deutsches Requiem“ von Johannes Brahms. Schwermütiger Stoff, dürfte man meinen. Doch Brahms Requiem ist nicht dem Leiden Christi oder dem Seelenheil der Verstorbenen gewidmet, wie sonst üblich. Stattdessen singt der Chor den Hinterbliebenen Trost. „Ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wieder sehen und euer Herz soll sich freuen und eure Freude soll niemand von euch nehmen“, heißt es da. Und „Sehet mich an: Ich habe eine kleine Zeit Mühe und Arbeit gehabt und habe großen Trost gefunden.“ Passend irgendwie in diesen Zeiten der Unsicherheit. Und vielleicht ein wenig heilsam für das Mindset eines Teams.
Nach unserem Besuch: Ein neuer Lichtblick
Dank der sinkenden Fallzahlen konnte der Opernchor in den Wochen nach unserem Besuch wieder langsam zur Normalität zurückkehren. Am Samstag, den 22. Mai, feierte „Salon Pitzelberger“ mit Beteiligung des Opernchores in Rheydt Premiere. Wenn alles gut geht, wird bei Erscheinen dieses Hefts sogar schon das erste Chorkonzert seit dem Ausbruch der Pandemie mit der Bach-Motette „Jesus, meine Freude“, Ausschnitten aus Opern von Donizetti, Wagners “Der fliegender Holländer” und einem Potpourri aus Musicals von Richard Rodgers stattgefunden haben. Wir drücken die Daumen!
Die aktuelle Spielzeitplanung des Theaters Krefeld und Mönchengladbach könnt ihr der Website des Theaters unter www.theater-kr-mg.de/spielplan/spielplaene entnehmen.
Dieser Beitrag wurde realisiert dank der freundlichen Unterstützung der Theaterfreunde Krefeld.
Fünf Fragen an einen Theaterfreund
Heinrich Rungelrath ist Vorsitzender der Theaterfreunde Krefeld und des Krefelder Kulturrats. In dieser Funktion engagiert er sich seit vielen Jahren für den Erhalt und die Förderung der Krefelder Kunst- und Kulturszene.
Herr Rungelrath, warum brauchen wir das Theater?
Theater ist seit Jahrhunderten ein ganz besonderer Ort, an dem es um die künstlerische Auseinandersetzung mit aktuellen und drängenden gesellschaftlichen Themen geht, aber auch niveauvolle Unterhaltung nicht zu kurz kommt. Es ist ein Ort des unmittelbaren Erlebens. Alles, was auf der Bühne passiert, ist live, und jede Vorstellung ist anders, auch wenn es sich um das gleiche Stück handelt. Im Theater zählt der Augenblick. Das macht es spannend und einzigartig. In diesem Rahmen bietet das Theater eine Möglichkeit zum direkten Austausch und Diskurs mit anderen. Damit gehört es zur kulturellen Grundversorgung, ohne die Bildung und Lebensqualität verloren gehen. Zudem ist eine Stadt ohne Theater ein Kaff, und wer will schon in einem Kaff leben (lacht)?
Und warum braucht das Theater „Freunde“?
Theater und Publikum gehören zusammen. Beide sind voneinander abhängig und alleine nicht denkbar.
Wie unterstützen die Theaterfreunde den Theaterbetrieb normalerweise?
Die Theaterfreunde stellen eine enge Verbindung zwischen Publikum und Theater her und ermöglichen persönliche Begegnungen zwischen Akteuren und Zuschauern, zum Beispiel bei Probenbesuchen, Premierenfeiern, Einführungen und Sonderveranstaltungen. Es findet also ein auch für das Theater fruchtbarer Austausch statt. Wir unterstützen das Theater jedoch nicht nur ideell durch Begegnungen und Kontakte, sondern auch finanziell. Wir beteiligen uns in jeder Spielzeit an der Finanzierung laufender Produktionen im Bereich Musiktheater, Schauspiel und Ballett, unterstützen aber auch das Orchester. So haben wir beispielsweise den Livemitschnitt der Sinfonie Nr. 4 von Gustav Mahler auf CD finanziert und zuletzt das wunderbare Filmprojekt „The Plague“ finanziell unterstützt.
Wie erleben Sie die Situation des Theaters seit Corona – und wie können Sie als Verein trotz fehlender Begegnung helfen?
Die als Folge von Corona eingetretene kulturelle Eiszeit erlebe ich als sehr bedrückend und bedrohlich. Als regelmäßiger Theaterbesucher vermisse ich besonders das Live-Erlebnis der verschiedenen Veranstaltungen und die verbindende und aufmunternde Kraft des Theaters. Die vielfältigen Streaming-Angebote des Theaters vermögen das persönliche Erleben eines Theaterbesuchs nicht zu ersetzen. Erste Hilfe besteht jetzt in erster Linie darin, dem Theater die Treue zu halten und frohen Mutes darauf zu warten, dass es bald wieder losgeht – mit den Vorstellungen und unseren Theaterbesuchen.
Wenn ich ein Theaterfreund werden möchte, muss ich…
…eine Beitrittserklärung an die Gesellschaft der Freunde des Krefelder Theaters e.V., Moerser Straße. 170, 47803 Krefeld schicken und die Bereitschaft mitbringen, sich immer wieder auf Neues und Außergewöhnliches einzulassen. Das wichtigste Wesensmerkmal eines Theaterfreundes ist sicherlich seine Liebe zum Theater. Dabei ist ein Theaterfreund immer auch ein Menschenfreund und zeichnet sich durch ein hohes Maß an Aufgeschlossenheit und Dialogbereitschaft aus.
Alle Informationen zum Engagement des Vereins gibt es unter: www.theaterfreunde-krefeld.de.
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