Das Theater. Seit der Antike ein Ort der Träume, der Überraschungen und Experimente. Aber auch ein Ort der überholten Hierarchien, der immer wieder mit Skandalen um zwischenmenschliche Eskalation von sich reden macht. Aber gut: Wo eigenwillige Charakterköpfe aufeinandertreffen, muss es ja knistern und knallen… oder?
Regisseur Christoph Roos sitzt lässig und freundlich lächelnd auf einem der schlichten 60er-Jahre-Bänkchen im Seitenfoyer des Krefelder Stadttheaters und hat etwas unbestreitbar Harmonisches an sich. Im weiteren Gespräch wird sich dieser erste Eindruck vertiefen, Roos sich als jemand zeigen, der kein Jekyll-und-Hyde-Typ ist, wie man es von vielen prominenten Kollegen seines Fachs kennt, sondern ein Beobachter, ein neugieriger und reflektierender Charakter, der die Qualität seiner Arbeit aus Partnerschaftlichkeit schöpft.
Der 53-Jährige ist ab der kommenden Spielzeit neuer Schauspieldirektor am Gemeinschaftstheater, und er wirkt beinahe wie das Anti-Klischee des narzisstischen Regisseurs. Sein Einstieg in die neue Funktion war wegweisend für eine moderne Bewegung der Theaterkultur, die Intendant Michael Grosse gemeinsam mit seinem neuen Kollegen fördern möchte: Roos wurde vom Ensemble demokratisch für seinen Posten ausgewählt. Normalerweise obliegt das dem Intendanten allein.
Qualität durch Mitbestimmung
„Dass man es sozusagen an die Abteilung gibt, sich ihren eigenen Chef zu suchen, das gab es in meiner bisherigen Laufbahn so noch nicht“, erzählt Roos. Mit dem demokratischen Einsetzungsverfahren seines neuen Schauspieldirektors reagierte Intendant Michael Grosse auch auf die wiederholten Theaterkonflikte der letzten Jahre, denen oftmals veraltete hierarchische Führungsmodelle zugrunde liegen. Manch einer hat per Vertrag Macht im Theater, die andere nicht haben. Und manch einer setzt diese gerne ein, um seine Untergebenen erst zerbrechen und dann nach eigenem Gusto formen zu können.
Ich glaube, dass wir bessere Sachen produzieren, je mehr der Schauspieler oder die Schauspielerin als Künstler auch selbst etwas beitragen können.
Christoph Roos
„Das habe ich selber als Regieassistent erlebt“, erinnert sich Roos und rollt beim Blick ins eigene Gedächtnis leicht die Augen gen Decke. „Man meinte damals zu mir, ich bräuchte den ‚Killerinstinkt‘ und sowas. Eine Regisseurin, bei der ich assistiert habe, hat mal gesagt: ‚Wenn du einem Schauspieler nur doll genug in den Magen haust, dann kommt schon was raus dabei‘. Deshalb gab es durchaus Phasen, wo ich mich gefragt habe, ob ich für den Beruf überhaupt geeignet bin. Heute bin ich der Meinung: Wenn das Ensemble etwas machen muss, was es selbst nicht will, sieht es am Ende auch scheiße aus. Ich glaube, dass wir bessere Sachen produzieren, je mehr der Schauspieler oder die Schauspielerin als Künstler auch selbst etwas beitragen kann. Ich habe keine Angst vor Machtverlust.“
Direkt zum Beginn seiner Anstellung beschäftigt Roos deshalb auch die Frage, wie Mitbestimmung und Partizipation dauerhaft in den Arbeitsalltag überführt werden können. Seine demokratische Wahl zum Schauspieldirektor solle kein „solitäres Ding“ bleiben, sondern der Startschuss sein für eine langfristige Veränderung. Im neuen Spielplan sind bereits Vorschläge aus dem Ensemble integriert, eine Inszenierung unter dem Arbeitstitel „Insekten/Eine Stückentwicklung“ wird von den Darsteller:innen komplett in Eigenregie umgesetzt.
Wieder zu Hause
Mit der Anstellung am Theater Krefeld und Mönchengladbach kommt Roos nicht nur zurück an eine ihm wohlvertraute Spielstätte, sondern auch in seine Heimat. Das Krefelder Stadttheater kennt der dreifache Vater schon, seit er als Grundschüler den „Räuber Hotzenplotz“ auf der Bühne bestaunen durfte. Als Jugendlicher wird er Teil einer Jugendtheatergruppe, die 1988 mit dem Stück „ZickeZacke“ das spätere KRESCHtheater in der Fabrik Heeder eröffnet und eine Begeisterung in Roos entzündet, die bald darauf in den Berufswunsch „Regisseur“ mündet. „Ich wollte mich immer schon mit Dingen auseinandersetzen, aber das auch ausdrücken können. Eine Zeit lang hatte ich deshalb vor, Lehrer zu werden. Das habe ich dann aber zum Glück gelassen“, lacht er.
Christoph Roos‘ Weg zur Regie beginnt an der FU Berlin mit Theater- und Filmwissenschaft, Germanistik und Religionswissenschaft. Anschließend wechselt er zur bekannten Ernst Busch-Hochschule, studiert Schauspielregie. Direkt nach Abschluss seiner zweijährigen Regieassistenz an der Schaubühne beginnt Roos, als freier Regisseur, Übersetzer und Autor zu arbeiten, inszeniert in Dresden, im Ruhrpott, in Mannheim, Bonn und Oldenburg und wird schließlich Oberspielleiter am Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen. Auch nach Krefeld kommt er immer wieder zurück. Zuletzt brachte er hier 2017 Pommerats „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ auf die Bühne – ein Mosaik verschiedener Beziehungsszenen, die von Trennung und Ängsten, wiederentdeckten und verlorenen Gefühlen erzählen.
Der Regisseur als Fragensteller: Was hat das mit mir zu tun?
Roos ist einer, der beobachtet, der fragt, der sich hinterfragt und diese Blickwinkel, Ungereimtheiten und Erkenntnisse in Bühnenstoffe übersetzt. „Eine reine theatrale Kulturpflege interessiert mich eigentlich nicht“, sagt er, „Wenn ich aus dem Theater komme, möchte ich etwas erkennen, das mit mir zu tun hat.“ Seine erste Produktion als Schauspieldirektor, eine moderne Bearbeitung des Dramas „Die Phönizierinnen“ und der Tragödie um König Ödipus‘ Söhne Eteokles und Polyneikes mit dem Titel „Alles weitere kennen Sie aus dem Kino“, passt in dieses Muster: Im Zentrum steht der erbarmungslose Krieg der Brüder um die Stadt Theben, deren Herrschaft sie sich ursprünglich gerecht teilen wollten. „Es geht um die Gegenüberstellung von Macht und Recht, um Männlichkeit, um die Rolle der Diplomatie. Das Stück ist gerade mega-aktuell. Als wir es ausgesucht haben, war der Ukraine-Krieg für uns allerdings noch gar nicht abzusehen“, erzählt Christoph Roos.
Vielfalt im Theater
Ein anderes, für Krefeld seit Jahren aktuelles Thema, dem er sich gerne widmen möchte, ist die Szene auf dem Theaterplatz. Doch: Wie stellt man Armut, Drogenabhängigkeit und Wohnungslosigkeit auf einer Bühne dar, ohne anmaßend zu sein? „Eigentlich“, denkt Roos laut und blickt durch die Fenster des Seitenfoyers, „müsste man die Leute von der Straße integrieren und ein Sozialprojekt daraus machen. Aufgreifen wollen wir das Thema, aber wir wissen noch nicht, wie.“
Als Schauspieldirektor wird Christoph Roos pro Spielzeit zwei Stücke selbst inszenieren. Neben „Alles andere kennen Sie aus dem Kino“ ist das in der Spielzeit 2022/23 die Digitalisierungsdystopie „(R)Evolution“. Alle anderen Stoffe übernehmen von ihm und der Dramaturgie ausgewählte Kolleg:innen. Bei der Konzeption des Spielplans habe er auf Vielfalt gesetzt, verrät Roos: „Ich finde es ja toll, dass jemand, der in Krefeld öfter ins Theater geht, von mir dann eher was Psychologisch-Realistisches bekommt und von jemand anderem ein Stück, das nur aus Form besteht. Dazwischen der ein oder andere Klassiker. Die Vielfalt, die wir in der deutschen Theaterlandschaft glücklicherweise haben, muss sich auch hier im Spielplan wiederfinden.“ Und wenn man da mal einen Blick reinwirft, gewinnt man den Eindruck, dass das wirklich gelungen ist.
Wir wünschen eine erfolgreiche erste Spielzeit!
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