480.000 Sattelschlepper sind notwendig, um die Lebensmittel zu transportieren, die die Deutschen jährlich in den Müll schmeißen. Würden wir sie in Reihe hintereinanderstellen, reichten sie von Lissabon bis nach Sankt Petersburg. Dieses Bild beschreibt Anfang des Jahres die Verbraucherzentrale. Der verschwenderische Umgang mit Lebensmitteln wirkt sich nicht nur negativ auf die Umwelt und die Ressourcen aus, sondern er führt auch zu einer Kultur, in der eine gute Versorgung nicht mehr wertgeschätzt wird. Hier setzt der Verein foodsharing an, der seit 2012 unter der Initiative etlicher Ehrenamtler Lebensmittel vor allem von Händlern, Produzenten und aus der Gastronomie rettet, die sonst in der Mülltonne landen würden. Auch in Krefeld gibt es fast seit Beginn der Gründung eine eigene Ortsgruppe. Das kredo-Magazin hat sie einen Tag begleitet.
Ein Tag mit Foodsharing
Es ist kurz nach zehn an einem Dienstag. Dirk Schlicker fährt mit seinem Kombi auf einen Hinterhof an der Philadelphiastraße, „Bäckerei Hendker“ steht in großen blauen Lettern auf dem benachbarten Ladenlokal. Drei Mal in der Woche ist der selbstständige Versicherungsmakler hier zu Besuch, um übriggebliebene Brötchen, Brot und Kuchen einzusammeln. „Wenn die Bäckerei ihre Filialen anfährt, um die neuen Backwaren zu verteilen, nehmen sie die alten für uns mit“, beschreibt der gebürtige Hülser. „Da kommen Massen zusammen. Es ist keine Seltenheit, dass wir bis zu 700 Brötchen oder bis zu vier Paletten Kuchen und Teilchen hier abholen.“ Gemeinsam mit zwei weiteren Foodsharern, Angelika und Patrick, sortiert der Ehrenamtliche die Waren durch und teilt sie auf die drei Protagonisten auf. Foodsharer nehmen die geretteten Lebensmittel nicht nur mit nach Hause, sondern verteilen sie auch an soziale Projekte. „Diese suchen wir uns als Foodsharer individuell aus“, beschreibt Schlicker. Während er Brötchen, Brot und Kuchen für das Projekt „Hüls hilft“ einpackt, das rund zehn bedürftige Familien im Stadtteil versorgt, sortiert Patrick die Backwaren für sich und befreundete Wohngemeinschaften. „Ich finde die Vorstellung uncool, Lebensmittel wegzuschmeißen, während in anderen Gebieten auf der Welt gehungert werden muss“, erzählt der junge Mann, der mit einem Lastenfahrrad unterwegs ist. „Die Lebensmittel, die wir hier einsammeln, sind noch absolut genießbar, selbst wenn ich das Brot erst nach fünf Tagen anschneide.“
„Wir haben unsere Entsorgungskosten halbiert“ – Rewe-Filialleiter Benjamin Glang
Von Hendker aus geht die Tour der Foodsharer weiter an die Uerdinger Straße. Hier wartet Benjamin Glang im REWE-Markt auf die Ankunft der Ehrenamtler. Auch in dieser Filiale sind Dirk und seine Crew dreimal in der Woche zu Besuch. „Vor einigen Jahren kam Foodsharing auf mich zu und erzählte mir von seiner Philosophie“, erinnert sich der Filialleiter. „Ich finde das Konzept gut. Es tat mir immer weh, Lebensmittel, an denen eigentlich nichts dran ist, wegzuschmeißen. So können wir uns als Markt für die Krefelder engagieren.“ Der REWE-Markt bedenkt nicht nur die Foodsharer, sondern auch die Krefelder Tafel. Während die Tafel an strenge Gesetzgebungen gebunden ist und zum Beispiel abgelaufene Lebensmittel nicht mehr annehmen darf, entbinden die Foodsharer Händler durch einen Vertrag von der Haftungspflicht. „Unsere Organisation ist gut sortiert“, beschreibt Schlicker weiter. „Gemeinsam mit vier anderen Mitgliederinnen bin ich als Botschafter für die Akquise und auch für Notfälle im Verein in unserer Region ansprechbar. Den direkten Kontakt zu den Abgebern halten die Betriebsverantwortlichen. Hat der REWE-Markt zum Beispiel einmal nichts abzugeben, kann er unkompliziert beim Betriebsverantwortlichen der Foodsharer anrufen. „Der Ablauf ist für uns wirklich einfach“, beschreibt Glang. „Wir stellen unsere Lebensmittel auf einen Rollwagen, und die Foodsharer kommen schon fast still und heimlich her, sortieren die Sachen und hinterlassen alles sauber und ordentlich.“ Dabei bleibt für die Filiale nicht nur das gute Gefühl, sondern der REWE-Markt spart durch den Besuch der Lebensmittelretter sogar Geld. „Seit wir an Foodsharing abgeben, habe ich die Kosten für die Lebensmittelentsorgung halbieren können“, beschreibt Glang. „Ein Gewinn für alle, oder?“
Die Lebensmittelretter suchen noch Unterstützer in Krefeld
Dabei könnte Foodsharing-Krefeld nach eigener Aussage noch viel mehr leisten. Aktuell beteiligen sich rund 30 Betriebe in Krefeld; Besuche finden je nach Betrieb teilweise täglich statt. Über eine Webseite und einen leichten Test, der sich mit der Philosophie des Foodsharings auseinandersetzt, können sich Lebensmittelretter kostenfrei im Online-Portal registrieren. Aktuell sind 250 Krefelder gemeldet, nur rund 50 Lebensmittelretter setzen sich aber aktiv ein. „Wir haben Personalprobleme“, sagt Schlicker schmunzelnd. „Wir brauchen unbedingt Nachwuchs.“ Schlicker selbst kam vor rund drei Jahren über die sozialen Netzwerke zum Foodsharing. Damals wurden Helfer für die Abholung bei der Bäckerei Hendker gesucht. „In erster Linie habe ich mitgemacht, weil mir unsere Wegwerfgesellschaft auf den Senkel ging“, erinnert er sich. Der schöne Nebeneffekt ist dabei, dass durch das Foodsharing Kühlschrank, Gefrierkühltruhe und Vorratsschränke immer voll sind. „Wir müssen quasi teilen“, sagt der Versicherungsmakler und lacht laut. „Die Mengen kriegen wir sonst gar nicht bewältigt.“ Alleine heute hat Schlicker unter anderem 20 Päckchen Butter und 20 Joghurts, die er mit nach Hause nimmt. Schlicker versorgt nicht nur soziale Einrichtungen mit den geteilten Lebensmitteln, sondern auch seinen eigenen Haushalt sowie seine Eltern und seine Nachbarn. „Es steht doch schon in alten Schriften geschrieben“, erklärt er zwinkernd. „Brot wird mehr, wenn man es teilt.“
Du möchtest selbst zum Lebensmittelretter werden? Weitere Infos findest Du online auf foodsharing-krefeld.de
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