Der Gabor. Ja, Gabor ist ein Phänomen. Wer auch nur ab und zu in der Krefelder Innenstadt unterwegs ist, wird den etwas zausigen bärtigen Kerl mit der Käpt’n Blaubär-haften Sprechweise schon mal erspäht haben. Für diejenigen, die öfter im Jazzkeller, in der Rampe, in der Anjuna oder in der Tanne zu Gast sind, gehört Gabor im Grunde zum Inventar. Ist er nicht schon da, geht garantiert irgendwann die Tür auf, und er lässt sein typisches langgezogenes „Begrüßungs-Hey“ hören.

Gabors Leben spielt sich an der ungewöhnlichen Schnittstelle zwischen Krefelder Kneipenkultur, Kulturszene und Waldstille ab. Zwischen Dießem und City ist er als Kultfigur unterwegs, zwischen Bäumen und Sträuchern als Waldführer und Naturpädagoge – und irgendwie schafft er es, in beiden Habitaten absolut heimisch zu sein. Für ihn ist das gar nicht wunderlich, sondern logisch. „Ich weiß gar nicht, warum das nicht alle so machen. Tagsüber in die Natur gehen und abends unter Leute“, konstatiert er mit dem typisch gerollten Gabor-R, in dem sich sowohl seine bayerischen Wurzeln als auch seine hanseatische Vergangenheit manifestiert haben.

Gabor Kiss_Simon Erath

Der Wald ist Gabors zweites Wohnzimmer – ob im Stadtwald oder im Hülser Bruch: Der 57-Jährige kann die Natur in und um Krefeld lesen wie ein Buch.

Typisch Gabor

Du merkst es schon: vieles an Gabor ist „typisch“. Die langen, dunklen Haare, die immer in einem Pferdeschwanz im Nacken zusammengebunden sind, der schwarze Schlapphut, mit dem man ihn im Wald antrifft, die gedehnte Sprechweise, der langsame Gang und das gemütliche Umhertrudeln auf dem Fahrrad, mit dem sich Gabor stets von A nach B bewegt, die Eigenheit, viele Sätze mit „Joa…“ anzufangen und seine wundersame Gabe, von jeder Party und jedem Event zu wissen, das in Krefeld stattfindet. Zudem war und ist Gabor so vieles, das man gar nicht hinterherkommt mit dem Aufschreiben. Seine Anekdotenkiste ist derart prall gefüllt, dass die Geschichten schon an den Seiten hervorquellen. Und immer fällt ein Schwank raus, den er noch nicht erzählt hat.

 

Der Blitz vom Kiez

Starten wir in Gabors Vergangenheit. Geboren ist er in München, mit vier Jahren „haben mich meine Eltern nach Hamburg umgezogen“, erzählt der 57-Jährige, während wir durch den Stadtwald wandern. Dort lebt er auf dem Kiez, absolviert nach der Schule eine Ausbildung zum Gärtner. Dem Beruf geht er zehn Jahre nach. Als junger Erwachsener wird er als Türsteher eingestellt, weil er – ein durch und durch friedfertiger Mensch – die Leute allein mit seinem intensiven Blick nebst imposanter Erscheinung im Zaum halten kann. „Irgendwann hat mich sogar jemand als Killer engagieren wollen. Da hab ich gesagt: ‚Nee, lass mal‘“, erzählt Gabor und lacht, als wäre das das Normalste auf der Welt. Als „der Blitz vom Kiez“ ist er zwischen den Läden unterwegs. Fit hält er sich als Footballer in der 2. Bundesliga, später wechselt er zum Baseball bei den Eimsbüttel Piranhas. „Wir waren damals verschrien, weil wir immer erstmal einen getrunken haben vor dem Spiel. Aber abgezogen haben wir am Ende doch alle“, schmunzelt Gabor.

Dieser Mann hatte eine wilde Vergangenheit, das weiß man, wenn man mal länger mit ihm in der Kneipe gesessen hat. Wenn er einen Schwank erzählt, ist es meistens was Verrücktes. Aber neben dem lauten, blinkenden Kiezleben und dem bierseligen Vereinssport war eben immer auch die Parallelwelt im Grünen da, die zu Gabors Leben gehört wie für andere das heimische Wohnzimmer.

„Ich wollte immer schon Menschen und Natur zusammenbringen. Als Vermittler. Das bringt mir Sinn, deshalb mache ich das so gerne.“

Gabor und der Wald

Nach seiner Ausbildung zum Garten-Landschaftsbauer studiert er in Bernburg, Sachsen-Anhalt, Gartenbau und Landespflege. Anschließend lebt und arbeitet er zwei Jahre auf einem Demeter Hof in Hessen. Als er einen Tapetenwechsel will, kommt er zufällig auf Krefeld. „Weil über Krefeld wusste ich gar nichts. Nur ein Kumpel aus Hamburg hat mir gesagt, ‚Da musst du in die Tanne gehen‘. Da war ich dann auch direkt an meinem ersten Abend hier“, erinnert sich Gabor. Ein Jahr lang arbeitet er im Krefelder Umweltzentrum, fühlt sich mehr und mehr zur Umweltpädagogik hingezogen. Bei Franz Schnurbusch in Düsseldorf bildet er sich in diesem Bereich fort, macht zudem eine Falkner-Ausbildung und einen Jagdschein. Als Schnurbusch nach mehrjähriger erfolgreicher Zusammenarbeit und Freundschaft verstirbt, beschließt Gabor, sich selbstständig als Waldführer in seiner Wahlheimat Krefeld zu versuchen. Anfang 2020 startet er sein kleines Unternehmen.

Kiss the Forest

Heute führt Gabor regelmäßig Gruppen durch den Wald und erklärt das Zusammenspiel von Tieren und Pflanzen. Das geht vom Bestimmen von Baumarten über essbare Pflanzen bis hin zu kulturhistorischer Wissensvermittlung. Die Teilnehmenden lernen kalte und warme Bäume zu unterscheiden, Gabor zeigt, wie man am Geruch von Erde das Vorhandensein von Pilzsporen erkennt, er erklärt, warum die Buchstaben Buchstaben heißen und woher der Ausdruck „astrein“ kommt. All das improvisiert er je nach Alter und Interessen seiner Gruppe, folgt dabei den jahreszeitlichen Vorgaben der Natur um ihn herum. Hier, mit weicher Erde unter den Füßen, wird Gabor zum Entertainer mit Erklärbär-Charakter – es wirkt, als hätte man den Regler hochgeschoben, als wäre auf einmal eine ganz neue Energie da. Besonders für Kinder legt er sich ins Zeug, zeigt ihnen, wie man kleine Körbchen aus Blättern bastelt und untermalt seine Geschichten mit großen Gesten. Man spürt, dass der Wald seine Mission ist. Aber nicht nur der. „Als Förster zum Beispiel würde mir der Kontakt zum Menschen fehlen. Ich wollte immer schon Menschen und Natur zusammenbringen. Als Vermittler. Das bringt mir Sinn, deshalb mache ich das so gerne“, sagt Gabor liebevoll.

Gabor Kiss

Gabor Kiss, geboren in München, mit vier Jahren Hamburger geworden und vor rund 20 Jahren nach Krefeld gezogen, gehört zu den Originalen unserer Stadt. Als Waldpädagoge und Kultfigur des Nachtlebens verbindet er zwei Welten, die sonst eher selten aufeinandertreffen.

 

Regelmäßig ist er mit psychisch Erkrankten sowie mit Schulklassen unterwegs, aber auch private Gruppen können mit dem Waldpädagogen durch die Natur spazieren. Übers Werkhaus und den Resonanzraum erhält Gabor Unterstützung für seine Tätigkeit. Neben den Führungen teilt er sein Wissen, in kleinen Häppchen, auch auf seinem YouTube-Channel „Kiss the Forest“. Da geht es dann um Baumarten, Birkensaft oder Esskastanien. Auch bei Greenpeace engagiert sich Gabor bereits seit über 20 Jahren – in der Öffentlichkeitsarbeit und als Ansprechpartner der Krefelder Ortsgruppe.

 

Seifige Special Effects

Und wie wurde dieser ruhige naturverbundene Waldführer zur Kultfigur der Krefelder Eventszene? Dafür, sagt Gabor, sei das Provinztheater verantwortlich. Die Band, die sich mit RumpelPolka & KartoffelRock einen Namen gemacht hat, hätte ihn eines Tages gefragt, ob er nicht Lust hätte, als biertrinkender Statist ihre Bühnenauftritte zu bereichern. „Da habe ich gesagt ‚Bier trinken, ja, das kann ich.‘ Und dann sind wir deutschlandweit getourt“, lacht Gabor, der heute abstinent lebt. Glücklicherweise hat sich die Bühnenshow mit den Jahren gewandelt. Inzwischen ist er für das Merchandising und die „Special Effects“ verschiedener lokaler Bands zuständig – ausgerüstet mit Seifenblasenmaschine, T-Shirt- und Konfettikanone.

Auch das ist typisch Gabor. Er ist für jeden Spaß zu haben. Und genauso gerne wie sein Wald-Wissen teilt er auch diesen gerne. Auf vielen Open Air-Veranstaltungen sieht man ihn gemütlich mit den Seifenblasen durch die Menge waten und damit verlässlich zum Highlight für den anwesenden Nachwuchs werden.

Es gibt diese Leute, die sind prädestiniert dafür, ein „Original“ zu sein. Gabor gehört dazu.

 

www.kisstheforest.de

 

Über den/die Autor/in: Esther Jansen

5 Kommentare

  1. Moritz 3. März 2023 um 6:26 - Antworten

    Fein geschrieben! Und äußerst treffend! :-)

    • Esther Jansen 6. März 2023 um 8:19 - Antworten

      Vielen Dank, das liest man gerne! 🙂

      Lieben Gruß

  2. Paul 3. März 2023 um 16:37 - Antworten

    Sehr schöner Artikel. Habe selbst schon des Öfteren mit ihm an der Theke gesessen und mir seine Anekdoten angehört.
    So viele wie Gabor schon erlebt hat könnte man damit wahrscheinlich ein ganzes Buch füllen

  3. Ilka-Daniela Bott 4. März 2023 um 9:57 - Antworten

    Sehr treffend: Krefelder Original. Sympathischer Text für sympathischen Typ. Schöne Bilder. Danke.

  4. Armin 4. März 2023 um 19:16 - Antworten

    Gabor total erfasst. Super!

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Tags: , , , , 5 Kommentare on Gabor Kiss: Der Waldmann mit den SeifenblasenVeröffentlicht am: 28. Februar 2023Zuletzt bearbeitet: 22. Mai 20231190 WörterGesamte Aufrufe: 906Tägliche Aufrufe: 16,1 Minuten Lesezeit

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