Wenn man es recht bedenkt, haben Superhelden oft sehr eigenartige Namen. Batman – Fledermausmann. Wassermann. Spinnenmann. Der Krefelder Manfred Stein hat auch einen Superheldennamen bekommen. „Mich nennt man den Kippenman“, sagt er kichernd und nippt an seinem schwarzen Kaffee. Wir treffen den 66-Jährigen im Tannenstraßen-Café, seinem zweiten Wohnzimmer. Wirtin Kerstin weiß schon, was er trinkt – er muss gar nicht groß bestellen. Anders als seine Comic-Kollegen führt Manfred kein Doppelleben zwischen Hornbrillen- Alltag und halsbrecherischen Einsätzen im Ganzkörperanzug. Er macht seine Arbeit „in Zivil“.

Ein engagiertes Leben

Zugegeben sind wir nicht die Ersten, die über Manfred schreiben. Er kommt ausgestattet mit Zeitungsartikeln zum Gespräch, ein richtiges Archiv hat er in seinem Fahrradkorb dabei. Spätestens jetzt wird klar, dass dieser tiefenentspannte Mensch ziemlich viel tut, den ganzen Tag. Geboren in Viersen und in Krefeld an der Hülser Straße unweit des Kapuzinerklosters aufgewachsen, wird er als Kind Messdiener, weil ihn die selbst angelegten Gemüse- und Obstgärten der Bruderschaft beeindrucken. Nach der Fachoberschulreife macht der Sohn eines führenden Rheinmetall-Angestellten eine Ausbildung zum Bauzeichner. Als er sich mit 18 zwischen Wehr- und Zivildienst entscheiden muss, wählt Manfred den Zivildienst. Ein erstes klares Bekenntnis zum späteren Lebensthema des Krefelders, seinerzeit aber ein Fauxpas. „Der Vater ein hohes Tier beim Rüstungsbetrieb und der Sohn verweigert – das war schon hart. Ich musste dann noch vor einen Prüfungsausschuss. Durch meinen Lebenslauf – wegen meiner Vergangenheit als Messdiener – konnte ich zum Glück aus religiösen Gründen verweigern. Meinen Zivildienst habe ich dann im Haus der Jugend auf der Steinstraße geleistet. Die damalige Leiterin fand, dass ich ein Händchen im Umgang mit Jugendlichen hätte und hat mir vorgeschlagen, mich im Bereich Freizeitpädagogik fortzubilden. In Köln habe ich dann Heimerziehung und Offene-Tür-Arbeit studiert“, erzählt Manfred. Man merkt sofort, dass er vom Niederrhein kommt. Das „I“ akzentuiert er spitz, das „Au“ ist eher ein „Ou“.

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Über mehrere Praktika und das Anerkennungsjahr lernt er verschiedenste sozialpädagogische Betriebe kennen. Schließlich arbeitet er über zehn Jahre lang im Jugendwohnheim Kolpinghaus. „Da waren ein paar ganz schön harte Fälle dabei. Die sind zum Teil aus dem Heim abgehauen, nach Duisburg feiern gefahren und haben danach die Polizei als Taxi nach Hause benutzt. Die hatten ja die Pflicht, solche Ausreißer wieder einzufangen“, sagt Manfred und muss ein wenig lachen. Generell sieht er immer ein bisschen belustigt aus, als trüge er ein dauerndes freundliches Augenzwinkern im Gesicht.

Seine unerschütterliche, optimistische Art lässt ihn immer tiefer mit dem anspruchsvollen sozialpädagogischen Berufsalltag verwachsen. Doch er will auch über die Arbeit in den Einrichtungen hinaus etwas bewegen. Als Mitglied der Linken in der Bezirksvertretung West versucht er gezielt, soziale und ökologische Projekte voranzutreiben. Als sachkundiger Bürger ist er in drei Ausschüssen tätig: im Bau- und Planungsausschuss, im Sozialausschuss und im Seniorenbeirat. Im Bau- und Planungsausschuss kann Manfred seine Kenntnisse aus der Ausbildung einbringen. Im Seniorenbeirat hat er das Projekt Notfalldose mit initiiert. Das ist ein kleines Plastik-Schraubgefäß mit allen wichtigen Informationen zum Gesundheitsstand inklusive Kontaktadressen, die Seniorinnen und Senioren als Hilfestellung für Ersthelfende im Kühlschrank als zentralem und leicht auffindbarem Ort verwahren können. Dieser wird entsprechend mit einem Sticker gekennzeichnet, der auf die Notfalldose hinweist. Mit all den Ausschussprojekten habe man „genug zu tun“, sagt Manfred, „vor allem im Bau- und Planungsausschuss. “Genug scheint in diesem Fall allerdings ein dehnbarer Begriff zu sein.

Wie Manfred zum Kippenman wurde

Auch sein Wohnumfeld an der Lindenstraße hat Manfred zum privaten Projekt gemacht. Über die zehn Jahre, die er nun schon in der Alten Post lebt, ist er ist so etwas wie der gute Hirte seiner Nachbarschaft geworden. Manche hier nennen ihn einen Engel. Denn er sorgt mit beispielloser Geduld dafür, dass Josefsplatz, Lindenstraße und Co. sauber und ordentlich bleiben. Insbesondere Kippenstummeln hat er den Kampf angesagt – der Grund für seinen Spitznamen. Von diesen kleinen Schurken gibt es nämlich verdammt viele in Krefeld. „Mit den weggeschmissenen Kippen hier könnte die Stadt ihren Haushalt sanieren“, sagt Manfred, „das ist eine Ordnungswidrigkeit, die eigentlich mit 55 bis 100 Euro geahndet wird.“

Manfred Stein ist „Der Kippenman“ – Superkraft: Straßen sauber halten.

Angefangen habe das alles an der RhineSide – mit dem Guerilla Picking, das dort von Kerstin Leverenz und Christina Lengwenings ins Leben gerufen wurde. Der Kaufmannsbund hatte vor einigen Jahren einen Sammelwettbewerb ins Leben gerufen, dotiert mit 100 Euro für den besten Kippensammler. Mit über 100.000 Stummeln wird Manfred zum Preisträger. Und er hat gerade erst angefangen. Von der GSAK erhält er eine spezielle Greifzange aus Metall, mit der man die kleinen Kippen besser aufheben und aus den Bordsteinritzen pulen kann. Sein Tätigkeitsfeld ist der Raum Hubertus-, Cornelius- und Marktstraße.

Als einmalige Aktion für eine Ausstellung über Umweltverschmutzung in unserer Stadt mit einer eigens angefertigten Plexiglastonne begonnen, hat er inzwischen schon mehrere dieser transparenten Behälter vollgesammelt, die einem – sofern überhaupt vorhanden – die Lust aufs Rauchen gründlich vergehen lassen. Denn sie zeigen nicht nur, wie viele Kippenstummel sie beinhalten, sondern auch, wie viel Wasser durch deren Herstellung und unzureichende Entsorgung verbraucht oder verseucht wurde.

„MIT DEN WEGGESCHMISSENEN KIPPEN HIER KÖNNTE DIE STADT KREFELD IHREN HAUSHALT SANIEREN. DAS IST EINE ORDNUNGSWIDRIGKEIT, DIE EIGENTLICH MIT 55 BIS 100 EURO GEAHNDET WIRD.“

Wir holen Manfreds aktuellen Sammelbehälter aus dem „Depot“ und inspizieren gemeinsam den Josefsplatz. Manfred pickt Kippen und schnipst sie in die transparente Tonne, in der bereits 50.000 Stummel versammelt sind. Zwei Millionen Liter verbrauchtes Wasser. Eine Frau mit Fahrrad macht neben uns Halt. „Ih, was ist das denn?“, fragt sie angewidert. Dieser Geruch sei so grausig, kaum auszuhalten. „Aber toll, dass Sie das machen – ich könnte das nicht!“ Manfred schmunzelt.

Solche Komplimente bekommt er nicht selten, der Engel des Viertels. Ob das auch hilft, wenn er durch die immer wieder achtlos hingeworfenen Kippen frustriert ist? Er sei nicht frustriert, sagt Manfred genügsam: „Ich hab `ne ganz andere Einstellung. Ich bin ja `ne frische Bub, man muss das positiv betrachten. Ich komm ins Gespräch mit den Leuten. Wenn ich welche sehe, die Kippen auf den Boden schmeißen, spreche ich die erstmal an, das hat dann auch `nen pädagogischen Touch. Ich frage dann: ‚Was glaubt ihr, warum ich euch anspreche?‘ Erstmal großes Fragezeichen. Und dann mache ich mir einen Spaß und sage: ‚Ihr habt Glück, dass ich nicht im Dienst bin, das ist eine Ordnungswidrigkeit, normalerweise kostet das 55 bis 100 Euro‘.“

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`Ne zweite Chance

Und was passiert mit den ganzen gesammelten Kippen? Die werden nochmal nützlich. „Ich sach immer: Gib der Kippe ne zweite Chance. Man kann die wiederverwerten. Aus den Filtern können verschiedene Produkte hergestellt werden. Zum Beispiel Aschenbecher“, erklärt Manfred und kramt einige Beispielstücke aus seiner Tasche. Die Weiterverwertung der Kippenstummel erfolgt über die GSAK, die diese an eine Kölner Spezialfirma weiterleitet. Seine und die gesammelten Werke teilnehmender Krefelder Gastronomien bringt der Kippenman einmal monatlich mit dem Bollerwagen zur Verwertungsgesellschaft. Wer braucht schon ein Batmobil?

Manfred nicht. Manfred schafft auch ohne Auto noch mehr ehrenamtliche Jobs. So beteiligte er sich an der Vor- und Nachbereitung der Eäte.Drenke.Danze-Veranstaltungen auf dem Josefsplatz, ist stellvertretender Vorsitzender im Bürgerverein Bahnbezirk und kümmert sich mit den Anwohnenden des Südviertels um Baumbeetpatenschaften – und da sind wir noch nicht am Ende seiner langen Liste gemeinnütziger Tätigkeiten.

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Manfreds Superkraft scheint die unnachahmliche Mischung aus Tatendrang und Genügsamkeit zu sein. Nur eine Sache wünscht er sich: Dass der ein oder andere sich ein Beispiel nimmt und merkt, dass es durchaus Freude machen kann, sich um seine Stadt zu kümmern. Oder zumindest, dass der Weg zum Mülleimer dann doch gar nicht so weit und eine saubere Straße wesentlich lebenswerter ist.

Manfred Stein braucht kein Cape und keine Maske. Krefeld ist nicht Gotham City. Und solange unsere Bösewichte noch Kippenstummelschnipser sind und keine Superschurken mit Grinsegesichtern, können wir noch einiges zum Guten verändern, auch ohne dass Bruce Wayne durch die Straßen fegt. Wir machen es lieber wie Manfred und fegen mal selbst vor der eigenen Haustür.

Über den/die Autor/in: Esther Jansen

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Tags: , , , , 0 Kommentare on Manfred Stein – KippenmanVeröffentlicht am: 1. September 2023Zuletzt bearbeitet: 5. September 20231284 WörterGesamte Aufrufe: 362Tägliche Aufrufe: 16,7 Minuten Lesezeit

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