Katharina Kurschat ist eines der jüngsten Ensemblemitglieder am Theater Krefeld und Mönchengladbach. Obwohl erst seit knapp zwei Jahren am Haus, hat sie es bereits geschafft, ein eigenes Solostück in den Spielplan einzubringen.

Katharina Kurschat
Katharina beobachtet ihr Umfeld genau. Manchmal wirkt es, als sauge sie die menschlichen Regungen und Verhaltensmuster anderer Menschen bewusst in sich auf, um sie irgendwann, auf der Bühne, wieder hervorzuholen.

Katharina Kurschat ist eine Beobachterin. Die Art Mensch, die auf Abendveranstaltungen immer wieder aufmerksam den Blick schweifen lassen und die Gesellschaft im Raum binnen weniger Momente erfassen.
Den gönnerhaften Großkotz am Ecktisch gegenüber, der seine Unsicherheit mit Grandezza überspielt. Den aufgedrehten Gastronom und dessen unscheinbare Kellnerin, die eigentlich den ganzen Laden schmeißt. Die Dynamik der Mädelsclique nebenan. Manchmal huscht ein Lächeln über ihr Gesicht.

Vielleicht landen diese Leute und ihre Marotten gerade in ihrem inneren Handbuch der Charaktere? Schon möglich, ist doch das Hineinversetzen in andere Katharinas Beruf. Aber da ist noch etwas anderes, das Katharina Kurschat ausmacht – auf der Bühne wie im „echten Leben“.

Die Geschichte mit dem Besen

Wir treffen die 25-Jährige an einem Donnerstagnachmittag auf der sonnenwarmen Portaltreppe der Fabrik Heeder. Eine blonde, junge Frau mit tiefen Augen und breitem Lächeln. Gerade hat sie Mittagspause, heute wird die erste Inszenierung des neuen Schauspieldirektors Christoph Roos, „Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino“, geprobt, in der sie die Antigone spielt. Seit knapp zwei Jahren gehört sie zum Ensemble des Theaters Krefeld und Mönchengladbach – frisch von der Frankfurter Schauspielschule, auf der sie nach dem Abi in Bad Segeberg ihr Handwerk gelernt hat.

Mit fünf Jahren stand Katharina zum ersten Mal auf einer Bühne. „Das ist ´ne voll sweete Geschichte“, ruft sie. „Meine Eltern haben mich zur musikalischen Früherziehung geschickt, in der Hoffnung, dass ich ein Instrument lerne. Das hat nicht so richtig geklappt, aber es gab ein Abschlussstück: Hänsel und Gretel, und ich durfte die Hexe sein! Das hat mich so begeistert, dass ich danach unbedingt Theater spielen wollte.“ Glücklicherweise ist die nächste Rolle nicht weit: Das Theater Lübeck sucht Kinderdarsteller, die Lust haben, als kleine Besen in einer Oper aufzutreten – genau der richtige Job für die bühneninfizierte Erstklässlerin. „Also sind wir zum Casting gefahren, wo bestimmt 70 Kinder waren, die alle Besen sein wollten. Und mich haben sie ausgewählt!“, erinnert sie sich und hebt scherzhaft-heroisch die Stimme.

Ab diesem Zeitpunkt wird Katharina – nun Teil der Lübecker Statisterie-Kartei – praktisch hinter der Bühne groß und lernt, was der Schauspielalltag neben Applaus auch bedeutet: Anstrengung, lange Wartezeiten, Disziplin. Was ihrer Begeisterung keinen Abbruch tut.

Das Vorspielen

Trotzdem ist da immer auch ein Zweifel. „Ich dachte, Schauspielerin werden zu wollen, ist ein bisschen, wie Prinzessin werden wollen, irgendwie naiv“, sagt sie. „Als ich mich, während der Abizeit, in Frankfurt zum Vorsprechen beworben habe, habe ich nicht erwartet, angenommen zu werden. Es gab ja noch 800 andere. Aber ich kam immer weiter. Und weiter. Und weiter. Und dann haben sie mich doch genommen. Das war wohl Schicksal.“

Im Studium lernt Katharina, ihre Spielfreude mit dem nötigen Rüstzeug zu unterfüttern:  Körper und Atem als Träger für Gefühl und Aktion zu nutzen, sich ihrer Umwelt zu öffnen. „Wenn man auf einer Bühne steht, ist die natürliche Reaktion, dichtzumachen. Ich kenne das noch gut aus der Schulzeit, dieses Gefühl, richtig sein, cool sein zu wollen. Möglichst so sein zu wollen, wie die anderen. Diesen Panzer, den das Leben einem aufdrückt, lernt man im Schauspielstudium abzubauen“, beschreibt sie und überlegt kurz. „Und das ist, glaube ich, auch die Kunst: Den Menschen, die zuschauen, die Möglichkeit zu geben, ganz tief in mich reinzugucken. Ich habe die Scham verloren, ich zu sein.“

Katharina Kurschat
Katharinas lebhafte Emotionen sind so mitreißend, dass man jede ihrer Geschichten mitfühlt. Eine Fähigkeit, die sie auch auf der Bühne zum Einsatz bringt.

Wie wichtig diese Fähigkeit ist, wird im Gespräch mit Katharina mehr und mehr deutlich.
Sie kann auf eine Art erzählen, die einem die Tränen in die Augen und das Lachen in die Mundwinkel treibt. Die Gefühle ihrer Erinnerungen scheinen aus ihr heraus direkt ins Herz ihres Gegenübers zu strömen. Als sie berichtet, wie sie zum Besen wurde, ist es das überschwängliche Erleben des kleinen Mädchens. Und als sie von ihrem Herzensprojekt Ada erzählt, mischt sich der Wunsch aufzuspringen und aufzubegehren mit der Traurigkeit über die Tragik eines einsamen und missverstandenen Frauenlebens.

„Das ist, glaube ich, auch die Kunst: Den Menschen, die zuschauen, die Möglichkeit zu geben, ganz tief in mich reinzugucken. Ich habe die Scham verloren, ich zu sein.“

Katharina Kurschat

 

Das erste Solostück

„Procedure Ada 2.0“, Katharinas erste Solo-Inszenierung, ist mitten im ersten Coronalockdown in Frankfurt entstanden, konzipiert und umgesetzt als Streaming-Format. Als überzeugte Feministin befasste sich die 25-Jährige zu dieser Zeit mit visionären Frauen, die von der patriarchalen Geschichtsschreibung vergessen wurden. Im Buch „Bedtime Stories for Rebel Girls“, direkt auf Seite eins, findet sie die perfekte Stellvertreterin all dieser Figuren: Ada Lovelace, ein mathematisches Genie. „Ada Lovelace wurde 1815 geboren und hat den ersten Algorithmus der Welt entwickelt. So früh, da gab es noch keine Computer – ihre Arbeit war ein reines Vorstellungsmodell. Es hat sie leider nie jemand für voll genommen“, beschreibt Katharina. Erst Computerpionier und Enigma-Knacker Alan Turing findet Lovelaces Notizen und begreift die Dimensionen ihrer Geistesleistung. 1970 wird schließlich die Programmiersprache „Ada“ nach ihr benannt.

Procedure Ada 2.0
In „Procedure Ada 2.0“, ihrem eigenen Solostück, spielt Katharina abwechselnd die Mathematikerin Ada Lovelace und die nach ihr benannte Programmiersprache Ada, die – wohnhaft in einem Satelliten – als auktoriale Instanz auf die Erde hinunterblickt.

„In meine Geschichte habe ich ein wenig Poesie verpackt. Ich habe mich gefragt: Wie konnte etwas so Komplexes wie ein Algorithmus als theoretisches Konstrukt in ihren Gedanken entstehen? Warum konnte sie sich Dinge so gut vorstellen? Wo hat sie das geübt?“, berichtet Katharina weiter. Lovelaces Vater, der bekannte Schriftsteller Lord Byron, verließ früh die Familie. Die Mutter soll aus lauter Frust und Zorn sein Bild abgehängt haben. „In meiner Dichtung liegt Ada als Kind in ihrem Zimmer und ist gezwungen, sich ein inneres Bild ihres Vaters zu erschaffen. Die erste Übung in Vorstellungskraft.“ Eine zweite poetische Ebene kommt Ada Lovelaces gesundheitlicher Verfassung zu. Schwer erkrankt, hatte die jung verstorbene Frau immer wieder Probleme mit dem Gehen. Katharinas Ada wünscht sich deshalb sehnlich, fliegen zu können.

Da passt es nur zu gut, dass die gleichnamige Programmiersprache in Satelliten benutzt wird. Im Stück springt Katharina zwischen der Metaebene Satellit und der menschlichen Ada hin und her. Mehr und mehr erinnert sich die Programmiersprache an ihr altes Ich, ihre Schöpferin. Und so kann Ada am Ende, als Satellit, doch noch fliegen.

Seit der Streaming-Premiere im Jahr 2020 trägt Katharina Ada wie einen kleinen Schatz mit sich, den sie unbedingt mit der Welt teilen will. In Krefeld hat sie für dieses Anliegen eine neue Bühne gefunden.

Das neue Theater

Als eine Schauspielerin das Theater Krefeld kurzfristig verlässt, kommt Katharinas Initiativbewerbung gerade zur rechten Zeit. Nicht nur im Vorsprechen kann die Jungdarstellerin überzeugen, auch im weiteren Verlauf ihres erst kurzen Engagements. Sie schafft es, „Procedure Ada 2.0“ in den Spielplan zu integrieren und erhält schon nach knapp zwei Jahren den Förderpreis der Theaterfreunde Mönchengladbach.

Doch wie vereinbart eine junge Frau mit einer klaren Agenda in Sachen Gleichberechtigung ihre tiefsten Überzeugungen mit der Arbeit im Theater, das neben unbestreitbar progressiven Stücken auch immer wieder traditionellen Stoff inszeniert, dessen teils jahrhundertealten Frauenrollen alles andere sind, als feministisch? „Ich suche in diesen klassischen Rollen immer nach dem Moment des Aufbegehrens. Selbst, wenn es diesen Moment im Stück nicht gibt, muss man ihn erschaffen“, erklärt sie. Deshalb freue sie sich in der neuen Spielzeit besonders auf die Rolle der Antigone, deren Hauptmonolog sie eben erst geprobt hat. Eine Rolle voller Wut und Überforderung.

Theater Krefeld, Vögel
Seit sie am Haus ist, hat Katharina bereits diverse Hauptrollen gespielt. Zum Beispiel in „Die Physiker“, „Drei Schwestern“ und „Vögel“.

„Ich liebe Figuren, die dir das Herz zerreißen, weil sie unschuldig sind, aber trotzdem immer wieder enttäuscht und vergessen werden. Klassische Helden sind mir meistens egal. Aber was ich liebe, ist eine Rolle, die verloren ist, der nur Ungerechtigkeit entgegenschlägt, aber die trotzdem kämpft und hofft. Der man die ganze Zeit einfach nur wünscht, dass sie endlich etwas Gutes erlebt“, beschreibt Katharina gerührt – und wieder macht sie das, diese Gefühlsübertragung beim Sprechen.

Schauspielern ist eben doch nicht nur „spielen“. Es ist vor allem das Mitfühlen und die Fähigkeit, diese Empathie weiterzureichen an sein Gegenüber. Sei es eine einzelne Gesprächspartnerin oder ein ausverkaufter Zuschauerraum. In Ada hat Katharina einer tragischen Figur ihr Happy End verschafft. Wie es mit Antigone ausgeht, sei an dieser Stelle noch nicht verraten…


Procedure Ada 2.0“ feiert am 7. September 2022 Premiere in der Fabrik Heeder, weitere Termine und Tickets unter
www.theater-kr-mg.de

 

 

Über den/die Autor/in: Esther Jansen

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Tags: , , , , , 0 Kommentare on Gefühl verbindet: Katharina KurschatVeröffentlicht am: 5. September 2022Zuletzt bearbeitet: 1. Juni 20231509 WörterGesamte Aufrufe: 610Tägliche Aufrufe: 37,8 Minuten Lesezeit

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