Georg Miethke könnte sich zurücklehnen, Kaffee trinken, Kuchen essen. Verdient hätte es sich der 92-Jährige allemal. Doch statt ein typisches Rentner-Dasein im Seniorenzentrum Hanseanum zu führen, hat er hier einen eigenen kleinen Eine-Welt-Laden aufgebaut, dessen Umsätze er jährlich an ein Kinderhilfswerk in Kolumbien spendet. Doch dass das bei Weitem nicht alles ist, was der begnadete Erzähler zu berichten hat, merkt man schnell, wenn man sich einmal mit ihm zum Gespräch niederlässt.
Er sitzt im roten Pulli, die Eintretenden aufmerksam beobachtend, schon bereit, als wir ihn im Hanseanum besuchen. Mit wachen Augen mustert er die zwei jungen Leute, die er hier noch nie gesehen hat. „Herr Miethke?“ – „Ja, das bin ich!“, sagt er, lächelt und steht für sein hohes Alter erstaunlich schwungvoll vom Stuhl auf. Auf seinem Rollator klebt ein Hinweisschild, das den Grund unseres Besuchs bewirbt: den Eine-Welt-Laden, den er ehrenamtlich für die Bewohner:innen des Heims und ihre Angehörigen betreibt.
Auch, wenn die Verkaufszahlen laut Miethke in den vergangenen Jahren nachgelassen haben, generiert der kommunikative alte Herr hier jährlich mehrere hundert Euro, die eins zu eins an eine Stiftung in Libano, Kolumbien, gespendet werden. „Das Geld ermöglicht bedürftigen Kindern dort den Schulbesuch bis zur Hochschulreife“, erzählt Georg Miethke mit unverkennbar niederrheinischem Einschlag, obwohl er weder in Krefeld geboren wurde, noch sein Leben lang hier war. Den leichten Singsang und die kleinen Witzeleien, ohne die kein alter Krefelder auskommt, hat er trotzdem drauf: „Ich sach immer ‚Ich bin 29‘. Ich vergess‘ aber dazuzusagen, ‚geboren‘.“
Kaffee für den guten Zweck
Sein Herz für Entwicklungsländer hat der mehrfache Vater, Opa und Urgroßvater bei einem Besuch seines Sohnes Stephan in Kolumbien entdeckt, der als Entwicklungshelfer in einer dortigen Kaffeeregion arbeitete. Dabei erfuhr Georg Miethke, wie aufwändig der Kaffeeanbau ist und wie die herrschende Korruption es den dortigen Bauern unmöglich macht, vom Erlös ihrer Arbeit zu leben. Und weil Georg Miethke nicht nur gerne mit anpackt, sondern auch ein Genießer ist, hat er das Aroma von Regenwald, Anden-Gebirge, Küstentiefland und Karibik erst in seine zwischenzeitige Wahlheimat Ratzeburg und später an den Niederrhein geholt.
Neben Kaffee können sich die Kunden des Hanseanum-Lädchens, das schon Miethkes zweiter Eine-Welt-Shop ist, mit weiteren fair gehandelten GEPA-Produkten wie Schokolade, Bonbons und Keksen, aber auch mit Handcreme, Honig, Bio-Orangensaft und getrockneten Mangos, eindecken. „Am besten läuft Kaffee; der Orangensaft wird auch sehr gut gekauft. Und die Kaffeelikörkuchen sind auch sehr verführerisch“, schmunzelt er. „Das macht mir Spaß, weil ich auch weiß, wo das Geld ankommt, was damit gemacht wird.“ Den meisten Umsatz, gibt er zu, mache er allerdings vermutlich über seine Kinder und Enkel.
Ein findiger Mensch und Macher
Dass Georg Miethke nicht nur fleißig, sondern auch mutig und findig ist, ist ihm schon früh zugutegekommen. Als Jugendlicher flieht er im tiefsten Winter mit seiner Mutter und zwei jüngeren Geschwistern vom ostpreußischen Landkreis Elbing gen Westen. Die Schrecken dieser Zeit beschreibt er noch heute, als hätte er sie gestern erst erleben müssen. „Wir sind in panischer Angst geflohen, haben an nichts gedacht, das Knattern und Donnern der Waffen im Nacken. Am 8. März 1945 haben wir die Befreiung durch russische Truppen erlebt – und die Auswirkungen. Ich habe jahrelang noch die Schreie der Frauen in den Ohren gehabt, die manchmal mehrfach hintereinander vergewaltigt wurden“, beschreibt Miethke mit glasigem Blick, während das Amüsierte aus seiner Stimme schwindet.
Zweimal ist er selbst nur knapp dem Tod entkommen. In Sachsen soll er Arbeitsdienst leisten, schafft es aber, erneut zu fliehen und sich nach Düsseldorf abzusetzen. Dort arbeitet er als Bergungshelfer, legt die Mittlere Reife und die Kaufmannsgehilfenprüfung ab und kommt später in einer Firma für technischen Industriebedarf unter: Bei „Wilhelm Hannen“ lernt er von der Pike auf, wie man ein Geschäft betreibt und übernimmt schon wenig später selbst die Leitung der 1872 gegründeten Firma.
Mit seiner bereits verstorbenen Frau Ursula, über die er noch heute ungemein liebe- und respektvoll spricht, baut Georg Miethke in Krefeld eine Großfamilie auf, betätigt sich neben dem beruflichen Aufstieg in der katholischen Jugend und sitzt neun Jahre im Krefelder Stadtrat. Er engagiert sich über 20 Jahre als Schöffe bei Gericht und als langjähriger Aufsichtsrats-Vorsitzender der Baugenossenschaft „Neuland“. Später gründet er den Linner Altenclub „Em Cavenn“ mit.
Kein Wunder, dass er neben diversen anderen Auszeichnungen inzwischen die Stadtehrenplakette und das Bundesverdienstkreuz sein Eigen nennt. „Das können mir meine Kinder irgendwann alles in den Sarg hinterherschmeißen. Das sind Dinge, die mich am wenigsten interessieren“, sagt Georg Miethke mit einem liebevollen Lächeln im Gesicht, „Das alles konnte ich nur machen, weil ich eine wunderbare Frau hatte, die unsere Kinder großgezogen hat. Aus allen ist was geworden. Das muss ich betonen: Eine janz dolle Familie!“ Heute ist er nicht nur Vater von sieben Kindern, sondern Großvater von über 30 Enkeln und 13-facher Urgroßvater.
Demut als Lebenseinstellung
Niemand, erzählt er, werde im Hanseanum so oft besucht wie er. Dabei mischen sich Stolz und Mitgefühl in seine Stimme. Georg Miethke ist ein dankbarer Mensch, und er verliert trotz seines hohen Alters nicht den Blick für diejenigen, die schlechter dastehen als er. Auch in der Senioren-Residenz ist er der Gestalter, will selbst im biblischen Alter noch Dinge bewegen – nicht nur im Eine-Welt-Laden. Ob Gottesdienst, Vorlesestunden mit Texten seines Lieblings-Autors Hanns Dieter Hüsch oder im Bewohnerbeirat – Georg Miethke hat immer neue Ideen, etwas Nützliches zu tun. Wenn man ihn fragt, warum er das alles macht, hat er eine einfache Antwort: „Weil ich mich mein Leben lang beschützt gefühlt habe.“ Und für das eigene Glück will Georg Miethke anderen etwas zurückgeben.
Eine Einstellung, von der sich viele Menschen gerne eine Scheibe abschneiden dürften – gerade in Zeiten wie heute, in denen sich Geschichte wiederholt.
Eine-Welt-Shop im Hanseanum
Neusser Straße 6, 47798 Krefeld
Bestellungen unter Telefon: 02151-9312120
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