Er ist Realist, dieser Johann Wolfgang von Goethe. Er glaubt nicht an den Menschen.
Wie anders hätte er im Prolog im Himmel den Mephisto, den Teufel, den Inbegriff des Bösen, zu Gott sagen lassen: „Ein wenig besser könnt er leben (und er meint den Menschen damit), hättst Du ihm nicht das Himmelslicht gegeben. Er nennts ‚Vernunft‘ und brauchts allein, um tierischer als jeden Tier zu sein!“ Goethe lässt den Mephisto einen Satz sagen, der verstört. Die Vernunft ermöglicht es uns doch gerade, Konflikte ohne Hass, ohne Gewalt zu lösen – oder? Wieso sieht Goethe sie so negativ, wo doch die Hoffnung auf sinnvolle Konfliktlösungen, eben auf der Anwendung der Vernunft, beruht? Der Mensch setzt diese Fähigkeit doch auch zum Guten ein, definiert, was vernünftig ist. Goethe sieht den Zwiespalt. Ohne eine grundsätzliche Tendenz ins Gutmenschliche. Er lässt Mephisto die Realität benennen: Die Menschen benutzen die Vernunft, um sich gegenseitig „in die Pfanne zu hauen“, sich zu schaden. Zur Veranschaulichung dessen gibt es genügend Beispiele.
Ein wenig besser könnt er leben, hättst Du ihm nicht das Himmelslicht gegeben. Er nennts ‚Vernunft‘ und brauchts allein, um tierischer als jeden Tier zu sein!
Faust ist der nach Erkenntnissen strebende Wissenschaftler, dämonisch will er Grenzen überschreiten. Faust will die Liebe erleben, will erkunden, was „die Welt im Innersten zusammenhält!“ Und dazu nutzt er alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der Hilfe des Teufels, eben jenes Mephisto, der ihn überallhin begleitet. Es ist Mephisto, der ihm das Gold beschafft, um Gretchen zu besitzen, es ist Mephisto, der ihm den Degen führt, der ihm hilft, Valentin aus der Welt zu schaffen, und es ist Mephisto, durch dessen Einfluss Philemon und Baucis verbrennen – ihr Land wird zur Landgewinnung für das Faust‘sche Projekt benötigt.
Der Mensch strebt nach Erkenntnis, nach Sinn, auch für andere, er erlernt doch zu lieben. Er sucht nur sich zu nutzen, er zerstört und lädt Schuld auf sich. Er ist gut und böse. Faust und Mephisto in einem. Das ist der realistische Blick auf uns. Lesen wir den „Faust“, versuchen wir, Goethes Drama zu verstehen: Goethe ist Zweifler. Das Böse ist der Stachel, der den Menschen aus seine Ruhe treibt. Aber ganz ohne Hoffnung kommt der Dichter dann doch nicht aus: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen!“, heißt es da. Eine kleine, leise Hoffnung. Am Ende hat Mephisto keine Macht mehr über Faust – bis dahin hat er jedoch schon genug Unheil angerichtet.
– Prof. Dr. Ute Büchter-Römer
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