Es gibt Momente im Leben, in denen fallen Entscheidungen schwer und sind schier unmöglich zu treffen. Und dann gibt es diese kurzen, fast magischen Augenblicke, da fühlt sich auf einmal alles nach Schicksal an.
Einen dieser Augenblicke erlebte Roxy Motté vor rund drei Jahren. Obwohl es aus Kübeln goss und das Wetter so gar nicht auf ihrer Seite war, entschloss sie sich gemeinsam mit ihrem Partner, den Uerdinger Weihnachtsmarkt zu besuchen. Durch Zufall kam das Paar hier mit ehrenamtlichen Mitarbeitern des Tierschutzvereines „Cani F.A.I.R.“ ins Gespräch, die trotz des Wetters einen Infostand unter den großen Zelten aufgebaut hatten. „Danach sind wir nach Hause gegangen und es war alles anders“, erinnert sich die 32-Jährige. „Das klingt so bescheuert, aber es hatte sich etwas verändert. Wir mussten dieser Veränderung Raum geben.“
Roxy begegnet einem ungarischen Terrier
Grund für die Veränderung war die Begegnung mit Kremes, einem ungarischen Terrier. Gerade erst durch die Organisation aus Ungarn gerettet, hatten die Tierschützer noch keine Heimat für die Hündin gefunden und brachten sie kurzfristig in einer privaten Pflegestelle unter. Der Helfer, bei dem Kremes untergekommen war, hatte Dienst am Stand und nahm die Hündin deswegen mit auf den Weihnachtsmarkt. „Und das war Liebe auf den ersten Blick“, beschreibt die Krefelderin. „Zwischen uns und der Hündin bestand sofort eine Verbindung.“ Roxy und ihr Partner Patrick wussten schon lange, dass sie irgendwann einen Hund aus dem Tierschutz adoptieren wollten. Immer mal wieder hatten sie sich über unterschiedliche Kanäle informiert und sporadisch im Web Bilder angeschaut, aber die persönliche Begegnung mit „Mistsau“, wie Roxy liebevoll das vierbeinige Familienmitglied nennt, nahm ihnen die Entscheidung emotional aus der Hand. „Wir stoppten abends immer wieder den Fernseher, um über Kremes zu sprechen, und schon am nächsten Tag schrieben wir eine Mail“, erklärt Roxy. „Dann nahm alles seinen offiziellen Gang.“
Für das Tierwohl: Die Prüfung der zukünftigen Halter geht der Adoption voraus
„Cani F.A.I.R.“ bietet zwei unterschiedliche Arten an, Tiere aus dem Tierschutz zu adoptieren. Immer ist die Durchleuchtung der Familien oder der Tierfreunde, die den Hund adoptieren möchten, dabei gleich. In einem Kennenlerngespräch hatten Roxy und Patrick Gelegenheit, alle ihre Fragen zu stellen. Das Paar besaß beispielsweise schon Katzen und wünschte sich ein Tier, das diese akzeptiert. Auch die räumlichen Verhältnisse wurden besprochen: Prinzipiell sind auch Vermittlungen in Stadtwohnungen möglich, nicht jeder Hund aber sei dafür geeignet, erzählen die Experten. Gleichzeitig lernten die Ehrenamtlichen der Tierschutzrettung das Paar kennen. Sie wünschen sich ein sicheres Zuhause für den Adoptivhund und prüfen die Wohn- und Lebensverhältnisse der zukünftigen Besitzer. Nach mehreren Kennenlernterminen mit Kremes wurde ein Schutzvertrag aufgesetzt, in dem die Adoptivtiereltern zum Beispiel zusagten, den Hund tiergerecht zu versorgen und zu halten, sich um notwendige medizinische Behandlungen zu kümmern und, falls irgendwann größere Probleme oder Sorgen auftreten sollten, erneut Kontakt zu „Cani F.A.I.R.“ aufzunehmen. „Das ist ein ganz normales Vorgehen bei Tieradoptionen aus dem Tierschutz“, bestätigt Roxy. „Auch uns hat das ein gutes Gefühl gegeben.“
Sechs Wochen nach dem ersten, schicksalhaften Treffen zog Kremes beim Uerdinger Ehepaar ein und wurde schnell zum fröhlichen Familienmitglied. Das Fell bekam immer mehr Glanz, das Selbstvertrauen der Terrierdame wuchs, und heute ist „Mistsau“ nicht mehr aus der Familienkonstellation wegzudenken.
Die Tiere stammen aus Miskolc
Über die Adoption von Kremes begann auch Roxy, sich ehrenamtlich für „Cani F.A.I.R.“ zu engagieren. Seit mehr als zwölf Jahren pflegt der deutsche Tierschutzverein eine Kooperation mit einem privaten Tierheim im ungarischen Miskolc, einer der größten Städte des Landes. Das Tierheim vermittelt Tiere vor Ort und leistet dort Hilfe zur Selbsthilfe, darüber hinaus vermittelt es aber auch durch „Cani F.A.I.R.“ Tiere nach Deutschland. Hat Roxys Kremes durch eine private Pflegestelle einen Erstkontakt in Deutschland bekommen, holen die Tierretter auch Hunde über die Grenze, für die bereits vorab Adoptivtiereltern gefunden wurden. „Das Prozedere ist grundsätzlich gleich, nur das persönliche Kennenlernen des Tieres ist so natürlich nicht möglich“, beschreibt die 32-Jährige. „Wir geben uns aber große Mühe, alle Sorgen und Ängste auszuräumen.“ Ist für die Interessenten zum Beispiel wichtig, dass sich der Hund mit Katzen oder anderen Hunden verträgt, wird dieses noch vor Ort in Ungarn getestet. Auch die medizinischen Untersuchungen erfolgen bereits in Ungarn. Für das Team ist es wichtig, kein Überraschungspaket zu vermitteln. „Denn am Ende ist es unser größtes Anliegen, dass sich Tier und Herrchen wohlfühlen“, beschreibt Roxy.
So entsteht die hohe Fundtierzahl in Ungarn
Schon mehrmals seit Kremes’ Adoption war die junge Frau inzwischen selbst mit dem Verein in Ungarn, um Tiere nach Deutschland zu überführen. Obwohl sie von den Zuständen im Land gehört hatte, war der erste Besuch als Tierretterin vor Ort doch prägend. Heute hat das Paar nicht nur einen zweiten Hund, den dreibeinigen Labrador-Vizsla-Mix Aurel, adoptiert, sondern Roxy versteht auch, wie die hohe Anzahl an Fundtieren im Land zustande kommt. „Die Ungarn haben eine ganz andere Art, mit Haustieren umzugehen“, schildert sie. „Auch wir Deutschen haben früher Tiere so gehalten, dem Tierwohl entspricht das natürlich nicht.“ Viele der Tiere vor Ort würden als Wachhunde an der Kette und im Zwinger gehalten. Fehlt ihnen der menschliche Kontakt und die Förderung, werden sie infolgedessen verhaltensauffällig. Die Tierbesitzer setzen sie deshalb immer wieder vor die Türe. Gleichzeitig nimmt der Welpenkauf in Ungarn zu. Familien halten sich junge Tiere, verlieren aber den Spaß an ihnen, sobald sie älter werden – mit der gleichen Konsequenz: Die Hunde kommen auf die Straße und landen im Tierheim.
Für Roxy, die auch als Veganerin lebt und sich für Tierwohl in Deutschland einsetzt, sind das ehrenamtliche Engagement und die Adoption von Kremes und Aurel eine Herzensangelegenheit. „Es ist noch so viel Aufklärungsarbeit nötig, um ein besseres Tier-Mensch-Verständnis zu schaffen, deswegen ist auch die Arbeit vor Ort so wichtig“, beschreibt sie. „Für mich ist das erklärte Ziel, dafür zu sorgen, dass sich die Zustände in Ungarn so ändern, dass unsere Hilfe vielleicht irgendwann gar nicht mehr benötigt wird.“ Die Spuren ihrer Arbeit werden aber auch dann noch im Leben der 32-Jährigen sichtbar bleiben: Mit den zwei Hunden hat das Ehepaar zwei neue Familienmitglieder gefunden, die es nie wieder hergeben möchte.
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