Sie schaffen Oasen inmitten von dichtbesiedelten Straßenzügen oder in hektischen Stadtkulissen. Wie grüne Lungen ziehen sich alte Friedhöfe heute durch moderne Städte. Dabei vermittelt nicht nur die oft alte Baumkultur eine besondere Magie, sondern auch die aufwendig gearbeiteten Statuten und Denkmäler ziehen ihre Blicke auf sich. Die Engel, die hier in zig unterschiedlichen Darstellungen und Gestaltungsarten über ihre Verstorbenen wachen, sind zum einen echte Kunstwerke, zum anderen zeugen sie aber auch von einem alten, oft in Vergessenheit geratenem Handwerk. Steinbildhauer verzieren zwar klassische Grabsteine, vor allem sind sie aber Künstler. Eine Spezifizierung, die der 29-jährigen Laura Heinrichs besonders wichtig ist: „Wir sind diejenigen, die individuelle Steinskulpturen anfertigen. Damit verbinden wir Kunst mit Handwerk.“
Für Laura war diese Verbindung entscheidungsgebend, um den für eine Frau und Abiturientin doch besonderen Berufsweg zu wählen. Schon immer liebte sie es, zu zeichnen und ihren Gedanken durch ihre Hände Ausdruck zu verleihen. Ein Praktikum in der Oberstufe zeigte der damaligen Schülerin der Marienschule letztendlich, wie vielfältig der Beruf der Steinbilderhauerin sein kann. „Meine Aufgabe ist es, die Motivation, mit der der Kunde zu uns kommt, in eine individuelle Idee zu verwandeln“, beschreibt sie. „Das ist ein langer Prozess. Ich lerne dabei die Gedanken des Kunden zu verstehen, übertrage diese in Skizzen in Material und am Ende schaffe ich daraus ein individuelles Kunstwerk.“ Ihr Kunstwerk findet heute schon lange nicht mehr „nur“ auf dem Friedhof Platz, sondern gibt Innen- und Außenräumen eine besondere Anmutung.
Ein Familienhandwerk: Schon Lauras Opa war Steinbildhauer
Laura hat diese Begabung quasi im Blut, denn ihr Opa, Steinbildhauer Gernot Heinrichs, gründete auf der Heideckstraße in unmittelbarer Nähe zum Krefelder Hauptfriedhof 1968 den Familienbetrieb. 1973 übernahm er darüber hinaus die Firma „Karl Motes“ von seinem gleichnamigen Lehrmeister auf der Kölner Straße 750. Heute leitet Lauras Vater das Unternehmen. „Mein Vater hat gedacht, dass sich mein Bruder dazu entscheidet, irgendwann in den Betrieb einzusteigen“, sagt Laura und schmunzelt. „Mit einer seiner Töchter als Nachfolgerin hat er nicht gerechnet. Und tatsächlich sind Frauen in unserer Branche in der Unterzahl.“ Laura hat gemeinsam mit drei anderen Mädchen und sechzehn Jungs ihren theoretischen Teil der Ausbildung an der Berufsschule in Düsseldorf 2014 absolviert. Heute sind die Jahrgänge geschrumpft: Immer weniger junge Menschen entscheiden sich für den traditionsreichen Beruf.
Als Steinbildhauerin in Italien
Für Laura dagegen, zeigte sich, dass die Wahl des Lehrfaches bereits in der Ausbildung genau der richtige Schritt gewesen war: Nach der praktischen Lehre bei Steinbildhauer Werner Jacobs in Mönchengladbach, bekam sie als herausregende Schülerin ein Stipendium verliehen, das sie für vier Monate nach Italien brachte. In unmittelbarer Nähe zu Florenz, dem Mekka der Skulpturenhistorie, lernte sie in einer traditionsreichen „bottega“ den Umgang mit Marmor. „Die Arbeit mit Granit, den wir hier in Deutschland sehr häufig verwenden, ist in der Handhabung sehr unterschiedlich zu Marmor“, erklärt sie. „Du brauchst dafür auch anderes Werkzeug. Für mich war diese Lehrzeit sehr wertvoll.“
Von den Erfahrungen in Italien beseelt, kam Laura mit dem Wunsch zurück nach Deutschland, ihre gestalterischen Fähigkeiten noch weiter zu vertiefen. In Aachen studierte sie an der besonderen Akademie für Handwerksdesign der Handwerkskammer. Hier kommen Absolventen aus unterschiedlichen Gewerken zusammen, um sich gegenseitig das Handwerk des anderen beizubringen. „Ich habe hier zum Beispiel mit Plexiglas und Metall gearbeitet oder auch Drucktechniken kennengelernt“, beschreibt die 29-Jährige. „Das befähigt mich heute, bei der Anfertigung von Skulpturen auch Materialien zu mischen.“
Laura kreiert einen neuen Brunnen für Linn
Seit ihrer Rückkehr im August 2018 arbeitet Laura nun im elterlichen Betrieb. Wie alle anderen Mitarbeiter ist auch sie für das Anfertigen von Grabmalen zuständig. Darüber hinaus betreut sie aufgrund ihrer besonderen, figürlichen Ausbildung aber auch einige Kunstprojekte.
Dazu gehört zum Beispiel die Anfertigung eines neuen Brunnens für den Linner Friedhof. Seit Jahrzehnten ist der alte Brunnen außer Betrieb. Nun hat sich die Arbeitsgemeinschaft Flachsmarkt entschieden, einen neuen zu sponsern und die junge Bildhauerin damit beauftragt. „Ich habe lange an meinem Entwurf getüftelt, denn mir war einerseits wichtig, einen historischen Bezug zum Stadtteil Linn, in dem die Vergangenheit allgegenwärtig zu spüren ist, zu schaffen. Und auf der anderen Seite wollte ich einen Bogen zur Gegenwart spannen, der die Menschen unserer Zeit inspiriert“, erklärt sie. Entstanden ist ein großes, zeitloses Werk, in dem Laura vor allem die Materialien Flachs und Leinen thematisiert. Wie ein Gewebe in Stein eingelassen laufen dünne Linien um die Brunnenstele herum. In umfassender Handarbeit hat sie einzelne Bänder so geschliffen, dass sie Stofffasern gleichen. Mit der Kombination aus Kratzern, die durch grobes Schleifpapier entstanden sind, und dunklen Schliffen, die Laura mithilfe von feinem Schleifpapier erschaffen hat, wird die Assoziation einzelner Fäden hervorgerufen. Ein Schriftzug mit den Worten „Jeder Mensch hängt am Faden seiner eigenen Spinnerei“ läuft gleichzeitig über den Brunnen. „Für mich ist es immer wieder eine Ehre, so einen individuellen Auftrag gestalten zu dürfen. Am Ende bekommt der Kunde ein Werk, das ganz seinen Vorstellungen entspricht“, erklärt die junge Bildhauerin. „Auch für mich ist das ein Geschenk.“ Voraussichtlich im Juni wird Lauras Brunnen dann auf dem Linner Friedhof aufgestellt werden. Auch wenn sich mit den Jahren die Umgebung vielleicht verändern und auch die Witterung ihre Spuren am Stein hinterlassen wird, ist es doch ein Zeitzeugnis, das Laura nur mit ihren Händen geschaffen hat: Denn Stein bleibt für die Ewigkeit.
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