Viele kreative Berufe haben es an sich, dass die Menschen, die sie ausüben, erst über Umwege dorthin finden. Obwohl die meisten von ihnen sagen, dass sie das, was sie tun, irgendwie schon immer getan haben. Bei Thea Mengeler ist das genauso. Als Tochter einer Deutschlehrerin wurde der frischverlegten Romanautorin die Begeisterung für Sprache schon in die Wiege gelegt – und doch nahm die 33-Jährige nach dem Abitur erst einige Kurven durch die Kreativbranche, ehe sie sich auf die Arbeit mit Worten festlegte.
„Eigentlich wollte ich immer schreiben. Das kam mir aber nie wie eine richtig Option vor“, erzählt Thea durch den leicht stockenden Laptop-Bildschirm. Wir treffen uns via Zoom und haben beide schlechtes Internet. Thea nimmt gerade an einem Stipendium für junge Künstler:innen verschiedener Sparten in Graz teil und sitzt bei schönstem Frühlingswetter in einem Zimmer des dortigen Priesterseminars. Ich bin in Krefeld, wo auch sie sonst lebt und arbeitet. Nach dem Abitur an der Maria-Montessori-Gesamtschule hat Thea als Praktikantin unter Mathias Stutte am Theater Krefeld das Fotografieren gelernt. Dann folgte ein Studium in Kommunikationsdesign in Kiel mit Schwerpunkt Fotografie, anschließend zwei Jahre ein Vollzeitjob als Werbetexterin in Düsseldorfer Agenturen.
„Ich habe während des ersten Studiums schon angefangen, mit Text und Bild zu arbeiten und für mich selber kleinere Texte zu schreiben. Ich habe mich aber nicht getraut, das ernst zu nehmen. Ich weiß gar nicht, warum das so ist“, reflektiert Thea, während die wachsenden WLAN-Balken das Bild der freundlichen blonden Frau mit rotem Cardigan und filigraner Brille auf der Nase wieder klar werden lassen. Als sie sich sicher ist, dass das Texten doch mehr sein soll als ein privates Hobby, hängt Thea ein zweites Studium im literarischen Schreiben und Lektorieren in Hildesheim dran. Schon währenddessen kommt ihr die Idee für den ersten Roman, der am 14. Februar dieses Jahres im Leykam Verlag erschienen ist.
Möglicherweise hat der ein oder andere die Autorin sogar schonmal bei der Arbeit beobachtet. Thea schreibt, wie viele ihrer Zunft, gerne eingehüllt in den Klangteppich quatschender, kaffeetrinkender Menschen. Und seit sie wieder zurück in ihrer Heimatstadt ist, tut sie das gerne im Liesgen, im Mari oder im Café an der Tannenstraße. Das Schreiben sei für sie meistens mit einer Art Lernprozess verbunden, erzählt sie: „Ich liebe Sprache, zu erkunden, was mit Sprache möglich ist, aber ich schreibe auch gerne, um Sachen zu verstehen und mich intensiv mit Dingen zu beschäftigen, die mich interessieren.“
Ihr Debüt-Roman ist auch das Ergebnis eines solchen Lernprozesses, dem die Frage nach unserer Beziehung zu Sozialen Medien, unserem Verhältnis zum eigenen Job und ein Interesse an den Funktionsweisen sektenartiger Gruppierungen zugrunde lagen.
connect – Eine kurze Inhaltsangabe:
In „connect“ geht es um Ava, eine 28-jährige Designerin, die mit ihrem Berufsalltag in einer ausbeuterischen Werbeagentur zu kämpfen hat. Workaholismus wird idealisiert, das Kollegium ist oberflächlich, Privatleben und Feierabend haben kaum Platz. Ava ist erschöpft, spürt das auch psychisch. Wenn sie mal Zeit für sich findet, übermannen sie Müdigkeit und Grübeleien über die Sinnlosigkeit ihres Alltags.
Als sie auf Lina, eine alte Bekannte, trifft, erwacht neue Energie in Ava – und Neugier. Die ihr zugewandte junge Frau führt sie in die Gruppe „connect“ ein, eine kommunistisch-geprägte Gemeinschaft, in der unter der Leitung des Gurus Dev „echte“ zwischenmenschliche Nähe die Sucht nach digitalem Austausch ersetzen und gemeinsames Erleben Körper und Seele stärken soll. Während sich Ava mehr und mehr in ihr neues Umfeld fallen lässt, löst sie die Verbindung zu ihrem Job, ihrem Freundeskreis und der eigenen Familie…
Thea hinterfragt in ihrem Debüt-Roman die Suche nach dem Richtig und Falsch in unserer Alltagsgestaltung. Was ist zu viel, was ist zu wenig? Ist ein reales Netzwerk immer besser als ein digitales? Wie sieht der ideale Lebensentwurf aus, in unserer modernen Zeit? Und wie gehen wir mit unseren Ängsten und Sehnsüchten um, wenn uns überall nur noch perfektionierte Narrative begegnen?
Wie ein Buch entsteht
Zuerst hat die Autorin auf Grundlage intensiver Recherchen die Gruppe „connect“ entwickelt, anhand der Frage, wie eine moderne Sekte aussehen, was sie bewegen und wie sie ihre Mitglieder zusammenhalten würde. „Ich sehe solche Gruppen immer sehr kritisch. Gleichzeitig wollte ich in diesem Buch aber auch versuchen, nachzufühlen, was einen daran anziehen kann. Deshalb wollte ich ,connect‘ mit Themen verknüpfen, wo ich reale Probleme und Herausforderungen sehe, mit denen man umgehen sollte“, erklärt Thea. „Soziale Medien lagen da nahe. Damit habe ich selber keinen guten Umgang. Ich verbringen damit zu viel Zeit, ohne mich im Nachhinein besser zu fühlen. Gleichzeitig würde ich aber auch nicht sagen, dass sie furchtbar sind und wir sie abschaffen sollten.“
Eine Lösung für die dem Buch zugrundeliegenden Fragen bietet Thea in „connect“ nicht an. Stattdessen bildet sie die Ambivalenz zwischen Kritik und Faszination aus der subjektiven Perspektive ihrer Protagonistin ab und zwingt dadurch ihre Leser:innen, sich selbst zu stellen. „Es war mir extrem wichtig, in dem Buch als Autorin keine Position zu beziehen. Beim Schreiben war es sehr interessant, zu schauen, wie weit man eine Figur verfolgen und ihr Handeln nachvollziehen kann, ohne die problematischen Aspekte einer Sache zu sehen“, erzählt sie. Spannend wird die Handlung auch durch die Alternativwelten, die Ava erlebt. Die Agentur, die voller Klischees, aber auch voller Wahrheiten, steckt und das perfekte Gegenmodell zur Philosophie von „connect“ abbildet, steht sinnbildlich für die Welt der Sozialen Medien. Ein Ort, der bisweilen zwar inspirierend und produktiv sein kann, wo jedoch auch Ängste befeuert und vermeintliche Schwächen ausgeklammert werden.
Dank ihrer klaren Sprache mit funktionierenden Bildern, einem guten Rhythmus und der Zurückhaltung, die es braucht, ihren Leser:innen selbst einen möglichst großen Wahrnehmungsfreiraum zu lassen, schafft Thea Mengeler es, die verschiedenen Welten ihres Romans intensiv lebendig werden zu lassen. Wer „connect“ liest, beginnt unweigerlich, sich zu hinterfragen, sich hier und da ertappt zu fühlen und das eigene öffentliche Image zu überdenken. Ein wirklich gelungener Roman. Gut, dass Thea sich getraut hat, Geschichtenerzählerin zu werden.
Wir verabschieden uns durch den wieder einmal leicht körnig werdenden Bildschirm. Das nächste Mal werden wir uns live und in Farbe auf der Dachterrasse der kredo-Redaktion wiedertreffen.
Und vielleicht bist du, liebe Leserin, lieber Leser, ja auch dabei.
WESTWERK. Neue Literatur live mit Thea Mengeler, 23.6.22, 19:30 Uhr
Am 23. Juni liest Thea Mengeler auf der Dachterrasse der kredo-Redaktion aus ihrem Debütroman „connect“. Die Autorenlesung ist Teil der Reihe „WESTWERK. Neue Literatur live“ des Niederrheinischen Literaturhauses und ist an diesem Abend auf 35 Gäste begrenzt. Wer dabei sein will, muss auch ein bisschen was schreiben, und zwar einen netten Zweizeiler an literaturhaus@krefeld.de. Die Tickets kosten 8,- €, ermäßigt 5,- €. Weitere Infos findest du HIER.
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