Alvin Philipps hat schon früh erfahren müssen, dass seine Homosexualität nicht von allen Mitmenschen geduldet wird. Doch statt sich anzupassen, hat der 27-Jährige es genau andersrum gemacht – und ist heute deutschlandweit einer der wichtigsten Queer-Aktivisten.

Mit dem „Man selbst sein“ ist das so eine Sache. Manche unserer Leserinnen und Leser werden damit ihr Leben lang kein Problem (gehabt) haben. Andere hingegen kennen das Gefühl, das sich kalt in den Magen frisst, die Wangen erröten und die Gedanken kreisen lässt, wenn ein plötzlicher Angriff, ein hässlicher Kommentar oder eine Hassbotschaft, scheinbar grundlos die eigene Substanz treffen. Bei den einen ist es die Figur, bei anderen die vermeintlich „sonderbaren“ Hobbys oder Klamotten. Und manche ecken an, weil sie anders lieben als die heterosexuelle Mehrheit. Letzteres hat Alvin Philipps schon früh erfahren müssen. Doch statt sich wegzuducken oder anzupassen, hat der 27-Jährige es genau andersrum gemacht – und ist heute nicht nur in Krefeld, sondern auch deutschlandweit einer der wichtigsten Queer-Aktivisten.

Ein Leben in Kontrasten: Real Life vs. Rampenlicht

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Foto: Simon Erath

Wer Alvin auf Instagram folgt, beobachtet einen kommunikativen Performer, der sich gerne zeigt und auch weiß, wie das geht. Egal, welche Irrungen und Wirrungen ihm der Alltag vor die Füße spuckt – es gibt nichts, wozu dem gutaussehenden, jungen Krefelder mit den ständig wechselnden Haarfarben keine unterhaltsame Story einfällt. Tatsächlich hat Alvin schon früh angefangen, sich für die Bühne zu begeistern. „Das hat sich schon im Kindergarten bei mir entwickelt und sich in die Schule weitergezogen. Wenn da Theater war, hab ich die Hauptrolle gespielt. Ich war bei jedem Stück dabei und bin auch bald im KRESCHtheater hier in Krefeld gestartet. Mit 15 habe ich meine erste Rolle im KiKa bekommen. Das war das KiKa-Surfcamp“, erinnert er sich amüsiert.

Im selben Jahr wird der androgyne Teenager auch von einer Londoner Fotokünstlerin, Madame Peripetie, entdeckt. „Meinen Look fand sie ansprechend. Sie ist über meine Social-Media-Plattformen auf mich aufmerksam geworden; das war damals noch SchülerVZ, und damit hatte ich meinen ersten Model-Job. Da habe ich zum ersten Mal so richtig Blut geleckt.“

Im „echten Leben“ ist Alvin – so präsent er auf der Bühne oder vor der Kamera auch wirkt – kein aufmerksamkeitsheischender Typ, sondern zugewandt und unbestreitbar sympathisch. Ein junger Mann, den man schwerlich nicht mögen kann. Doch leider scheinen manche Menschen für diesen Eindruck unempfänglich – sie sehen einfach einen gepiercten Typen mit rosa Haaren. Und Rosa ist „schwul“. Und das ist ein Problem.

Was Madame Peripetie an Alvin begeistert, lehnen andere ab. In Krefeld-Fischeln aufgewachsen, erlebt er als homosexueller Junge im Alltag wenig Akzeptanz. „Es gab schon früher viele Orte, wo meine Freunde hingegangen sind, wo ich aber nicht hingehen konnte. Ich konnte nicht ins Neptun Schwimmbad gehen, weil ich wusste, da werde ich diskriminiert, angefeindet oder verprügelt. Genauso der Stadtpark Fischeln. Sogar, wenn ich heute mit pinken Haaren in die Stadt gehe, werde ich angespuckt oder beleidigt“, erzählt der 27-Jährige kopfschüttelnd. Anlaufstellen habe es nicht gegeben, gibt es auch heute nur wenige. Mit den Anfeindungen allein umzugehen habe Zeit gebraucht und Kraft gekostet.

Gleichzeitig ist da aber immer die Freude am Performen, der Alvin neben Schule und Ausbildung weiter leidenschaftlich nachgeht. „Das war pure Selbstverwirklichung für mich“, schwärmt er. „Was ich in meinem normalen Leben als konservativer Krefelder Junge nicht ausleben konnte, habe ich in meiner Freizeit über diese Jobs ausgelebt.“ Schon damals ist Alvin bekannt und gefragt im Internet, sodass sich schnell ein großes Netzwerk aus beruflichen Kontakten um ihn entspinnt, aus dem sich laufend neue Möglichkeiten zur Zerstreuung neben dem wechselhaften Alltag ergeben. Nach kleineren Fernsehformaten und Modeljobs folgt eine kurze, aber intensive Bandkarriere als Teeniestar bei der Band Banaroo. Heute spielt die Musik keine primäre Rolle mehr in Alvins Berufs- und Privatleben. Die früh entdeckten Sozialen Medien und sein großes kreatives Netzwerk aber umso mehr.

Agentur für queeren Lifestyle: Authentisch bunt

Es gibt einen Punkt, da verbindet Alvin seine schlechten Erfahrungen mit den guten zu einer besonderen Mission: Als Aktivist, Talent- und Eventmanager ist er heute mit Deutschlands größter queerer Agentur PTO Media unterwegs.

Angefangen hat diese Idee etwas kleiner. Gemeinsam mit Luke Holmer, einem guten Freund, organisiert er in Krefeld vor ein paar Jahren die erste QueerFeld-Party im Schlachthof – sein absolutes Herzensprojekt. „Weil es hier keine queeren Spaces gab und wir gemerkt haben, dass das nicht nur uns fehlt. Damals musste man immer bis nach Köln fahren. Selbst in Düsseldorf gab es kaum Angebote, gerade für das junge queere Publikum. Als wir gemerkt haben, dass der Bedarf da ist und auch immer mehr Künstler:innen auf uns zukamen, die Hilfe bei ihrer Promotion brauchten, haben wir unsere eigene Agentur ‚Herzbuben‘ für Veranstaltungs- und Influencer:innen-Management eröffnet“, erzählt Alvin. Die Jungs kooperieren bald viel mit der Düsseldorfer Agentur PTO Media, die damals ihrerseits den erfolgreichsten schwulen Podcast Deutschlands, „Schwanz und Ehrlich“, produziert.

Nach vielen Gemeinschaftsprojekten schließen sich die vier Jungs zur größten queeren Agentur Deutschlands zusammen, von zwei Namen bleibt einer übrig: PTO Media betreibt Talent-Management und hilft queeren Persönlichkeiten, erfolgreich zu sein, veranstaltet Partys und Events, produziert Podcast- und Social-Media-Formate und berät Unternehmen und Marken, die queere Community authentisch erreichen zu können. „Inzwischen wird viel Pinkwashing betrieben. Das heißt: Firmen und Marken machen während des Pride Month ihr Logo in Regenbogenfarben, hauen ein, zwei Regenbogenprodukte raus, engagieren sich aber den Rest des Jahres gar nicht für die Community. Es wird also aus Pseudo-Aktivismus Profit gemacht. Da geben wir bessere Ansätze“, erläutert Alvin.

„Wir wollten keine klassische Schwulen- oder Lesbenparty machen, sondern einen queeren Space für alle.“

Alvin Philipps
Luke Holmer und Alvin Philipps auf dem QueerFeld-Festival im Schlachtgarten. Foto: Calo Ballaera

QueerFeld goes Festival: Ein Safe Space für alle

Trotz Corona haben Alvin und Luke es geschafft, auch ihr Partyformat weiterzuführen. Gemeinsam mit ihren neuen Kollegen konnten sie aus dem Clubkonzept ein Open-Air-Festival entwickeln, bei dem unterschiedliche Acts im Schlachtgarten auftreten und ein kunterbuntes Publikum bespielen durften. „Wir wollten keine klassische Schwulen- oder Lesbenparty machen, sondern einen queeren Space für alle“, erklärt Alvin. Wer offen ist, ist herzlich willkommen. Das Publikum ist dementsprechend gemischt, Alter, Hautfarbe, Sexualität, Gender – es ist von allem etwas dabei. Und das funktioniert hervorragend: Die Stimmung ist ausgelassen, das Feedback begeistert. „Dieses Festival ist ein so tolles Projekt, an dem wir auch intensiv weiterarbeiten wollen. Gerade können wir zwar noch nicht so konkret planen, wegen Corona, aber unser großer Traum ist es, in ein paar Jahren das erste queere Festival mit mehreren tausend Menschen zu veranstalten“, verrät Alvin lächelnd.

Für seine Heimatstadt wünscht er sich – auch abseits von seinem selbst-kreierten Safe Space QueerFeld – mehr Toleranz, eine bessere Aufklärung an Schulen, mehr Sichtbarkeit für die Community. Gerne würde er das Thema auch mit Orten verknüpfen, die sonst gar nicht damit assoziiert werden. „Man müsste mal wo ansetzen, wo es die Leute nicht erwarten – in der YAYLA-Arena oder so“, schmunzelt er. Wo auch immer es sein wird: Sichtbarkeit zu schaffen, ist das eine. Nun müssen sich noch mehr Menschen darauf einlassen, ihre Klischee-Brille in der Schublade zu lassen, damit jeder Club, jedes Festival, jeder Park, jedes Schwimmbad, irgendwann ein Safe Space für alle ist.  

ptomedia.de/queerfeld-festival

 

„Queer“ = Sammelbegriff für alle Personen, die nicht der heterosexuellen Geschlechternorm entsprechen.
Stammt ursprünglich aus dem Englischen (Bedeutung: „seltsam“, „komisch“) und wurde lange als Schimpfwort für Homosexuelle verwendet, jedoch in den 90er Jahren von der Community zur Selbstbezeichnung übernommen und damit positiv umgedeutet.

 

Interessiert, wie so ein QueerFeld-Festival aussieht?

Über den/die Autor/in: Esther Jansen

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Tags: , , , , 0 Kommentare on Alvin PhilippsVeröffentlicht am: 18. Februar 2022Zuletzt bearbeitet: 16. Februar 20231261 WörterGesamte Aufrufe: 354Tägliche Aufrufe: 16,4 Minuten Lesezeit

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