Frank Meyer über einen Wahlkampf in der Pandemie, den wechselhaften Corona-Alltag und die Relevanz der städtischen Kulturszene.
Kaum ein Gesicht hat die Bevölkerung der Stadt Krefeld im Jahr 2020 so oft gesehen, wie seines: Frank Meyer hat sich in regelmäßigen Videobotschaften an die Bürger*innen gewandt, hat gemahnt, gelobt und eine Lanze für die Kulturszene gebrochen. Wir haben uns mit ihm über das politische Arbeiten in der Krise, Hilfe für betroffene Branchen und die Entwicklung des Kulturhilfsfonds unterhalten.
kredo: Im Jahr 2020 sind Sie zum Bürgermeister der Stadt Krefeld wiedergewählt worden. Wie haben Sie den Wahlkampf in Corona-Zeiten erlebt?
Frank Meyer: Es ist schon ein ganz merkwürdiges Gefühl. So einen Wahlkampf haben wir noch nie gemacht. Es war aber auch ein ganz klarer Innovationstreiber, weil wir – gerade online – neue Wege gegangen sind. Das größte Problem war, dass das gewünschte Gespräch mit den Leuten extrem gelitten hat. Wahlkampf besteht ja nicht nur aus Flyern und Saalveranstaltungen und Wohnzimmerstudiosendungen, sondern darin, dass man über mehrere Monate mit vielen einzelnen Menschen, mit einzelnen Gruppen, ins Gespräch kommt – in Situationen, die eigentlich gar nicht direkt zum Wahlkampf gehören.
// Mit Corona fing die Amtszeit an, mit Corona ging sie weiter. Sie waren in der Pandemiezeit bisher sehr aktiv. Die Stadt musste und muss sich extrem anpassen, immer wieder aufs Neue: Bleibt da Zeit für nicht-pandemiebezogene Belange?
Es gibt fast nichts, was nichtmit Corona zu tun hat, weil das als Filter über allen Lebensbereichen liegt. Deshalb habe ich auch die Entscheidung getroffen, selber den Krisenstab der Stadt Krefeld zu leiten. Ein Krisenstab ist eigentlich für kurzfristige Ereignisse gedacht, wie einen Unfall in einem großen Industrieunternehmen, Naturkatastrophen und so weiter. Einen solchen Krisenstab muss nicht unbedingt der Oberbürgermeister selber leiten, das kann auch jemand aus der Verwaltungsleitung machen oder der Feuerwehrchef. In diesem Fall war aber schnell klar, dass diese Krise alle Bereiche des städtischen Lebens betrifft. Mir war es wichtig, wenn Entscheidungen für Krefeld getroffen werden, über einen längeren Zeitraum und mit einer großen Intensität, diese Aufgabe nicht zu delegieren. So haben wir anfangs jeden Morgen als allererstes mit dem Krisenstab zusammengesessen und uns die meiste Zeit mit Corona und den Folgen befasst. Man kriegt das in dieser Intensität zeitlich hin, weil andere Sachen wegfallen. Ansonsten wäre das überhaupt nicht möglich, denn man muss viel mehr lesen und lernen. Welcher normale Mensch hat sich schon mit Fragen der Virologie beschäftigt? Das ist nun wirklich Neuland gewesen.
// Corona betrifft uns aktuell. Aber wie sieht es denn mit Zukunftsprojekten aus, zum Beispiel dem Aktionsplan Wirtschaft Krefeld 2030?
Trotz Corona muss man natürlich auch eine ganze Reihe anderer Dinge machen, die nicht unmittelbar mit der Pandemie zu tun haben. Was diese Krefeld 2030-Themen angeht, ist eine ganze Reihe der Projekte, die wir uns vorgenommen haben, schon in der Bearbeitung oder teilweise bereits abgeschlossen. Wir sind zum Beispiel konkret dabei, ein International Welcome Center für die Wirtschaft zu etablieren, wir haben Räume für Open Working Spaces angemietet, wir haben am Projekt Stadtbad weitergearbeitet, wir entwickeln einen Masterplan für den Elfrather See inklusive der privaten Investition des Surfparks. An diesen Beispielen sehen Sie, dass es rund um Corona noch einige andere Dinge gibt, weil das Leben ja nicht stillsteht. Ich sage immer scherzhaft: Ich mache tagsüber Corona und abends KFC (lacht). Also auch das Thema Grotenburg ist eins, wo wir eine ganze Menge Zeit investiert haben. Ich könnte jetzt noch ganz lange weitererzählen. Zusammengefasst: Es ist zwar fast alles von Corona berührt, aber es ist nicht so, dass wir uns jetzt nur mit Pandemie an sich beschäftigen.
// Sprechen wir über Corona, kommen wir an der Krefelder Kultur nicht vorbei: Hier sind große Schritte unternommen worden, um die Vielfalt der Szene zu bewahren…
Kultur als Medium von Gesellschaft, um über sich selber zu reflektieren – das fehlt spürbar. Ich lechze förmlich danach, endlich mal wieder in einem völlig überhitzten Raum mit einem Bier in der Hand zu sitzen, wenn vorne eine tolle Band spielt. Und leider ist es ja gerade im Kulturbereich so, dass eine ganze Reihe der dort Tätigen ohnehin in mehr oder weniger prekären Verhältnissen leben. Wenn dann auch noch die Einnahmen wegfallen und auch die Sponsoren unter Druck kommen, müssen wir Sorge haben, dass diese Menschen ihren Broterwerb an den Nagel hängen. Ich habe die große Befürchtung, dass das, was an kultureller Infrastruktur verschwindet, nicht mal eben wiederkommt, wenn die Krise vorbei ist. Die Förderprogramme und Rettungsschirme des Bundes und des Landes sind wirklich gut gemeint, das will ich nicht in Abrede stellen, aber sie erreichen eben nicht alle. Und deshalb haben wir uns entschieden, obwohl wir eine Haushaltssicherungskommune sind, dieses Hilfspaket von 250.000 Euro zu schnüren. Um Leuten existenziell helfen zu können und ein Signal der Solidarität zu setzen, das über den warmen Händedruck hinausgeht.
// Sie haben selbst den Haushaltssicherungsplan erwähnt. Wie kann man einen Kulturfördertopf realisieren, wenn man sich in diesem Rahmen bewegt?
Wir sind in den letzten Jahren in der Haushaltswirtschaft gut vorangekommen und haben den letzten Haushalt ohne Einschränkungen genehmigt bekommen. Wir haben ‚unsere Hausaufgaben‘ gemacht: Nach 2017 hatten wir nur noch positive Abschlüsse, wir haben positive Planergebnisse und jedes Jahr in meiner Amtszeit ein besseres Haushaltsergebnis erreicht als ursprünglich geplant. Dadurch haben wir uns einen guten Leumund bei den Aufsichtsbehörden erarbeitet. Und dann kann man so was schon mal machen. Und natürlich ist es auch eine Frage von Prioritäten: Wir haben dem Thema eine große Relevanz beigemessen in der Überzeugung, dass die Kultur neben dem wirtschaftlichen Aspekt eine darüber hinausgehende Bedeutung für eine Stadt hat.
// Welche Bedeutung hat denn Kultur Ihrer Ansicht nach über den wirtschaftlichen Aspekt hinaus für eine Stadt, um das noch einmal klar einzuordnen?
Kultur schafft Möglichkeiten der Begegnung und des Austauschs: Durch die Kultur habe ich die Möglichkeit, Fragestellungen der Welt durch die Augen der Künstlerinnen und Künstler zu sehen und gleichzeitig die Gelegenheit, mich mit meiner Nebenfrau und meinem Nebenmann darüber zu unterhalten. Durch kulturelle Formate können wir Konflikten, die wir in unserem persönlichen Alltag niemals erleben, begegnen und erfahren dadurch eine Horizonterweiterung, die beeindruckend ist. Deswegen ist sie ganz besonders unterstützenswert, gerade in Krisenzeiten.
// Wie steht es mit anderen Betroffenengruppen?
Unser Hilfsfonds richtet sich, wie gesagt, an die, die durch alle anderen Raster fallen. Wir haben aber natürlich auch die Gastronomie und den Einzelhandel unterstützt – übrigens in einem nicht gerade geringeren Maße, vor allem durch Verzicht auf Gebühren. Wir haben zum Beispiel die sogenannte Terrassengebühr erlassen, die Gastronomen und Einzelhändler entrichten müssen, wenn sie den öffentlichen Raum kommerziell nutzen, zum Beispiel für Außengastronomie oder das Aufstellen von Werbetafeln. Ich glaube, dass das schon eine große Hilfe für viele war, insbesondere, weil wir in einem weiteren Schritt die Genehmigung von Außengastronomie – soweit es irgendwie ging – liberalisiert haben. Wir haben nicht einzelne Betriebe unterstützt, aber das ist meines Erachtens auch eine Sache der Bundes- und der Landesfördermittel.
// Der Hilfsfonds ist inzwischen verteilt. Aber das Virus ist offenbar zäh genug, um uns noch eine Weile zu begleiten. Gibt es bereits Pläne für die kommenden Monate, was neue Hilfsmittel angeht?
Wir wissen noch nicht, wie es ausgeht, und deswegen wäre es spekulativ, jetzt zu sagen, was geschehen wird. Bei neuen Hilfspaketen steht auch die Frage im Raum, ob wir das noch mal leisten können. Im Augenblick gehen wir davon aus, dass die Stadt Krefeld zwischen 2020 und 2024 in einer Größenordnung von 250 bis 300 Millionen Euro Corona-Lasten zu tragen hat. Und die Stadt Krefeld, das sind wir alle. Der Haushalt wurde erst am 4. Februar eingebracht, deswegen gibt es da im Augenblick auch noch keine Grundlage für eine verlässliche Aussage. Das ist jetzt kein politikermäßiges Drumherumreden, sondern das sind offene Fragen, wegen derer man keine seriöse Aussage fällen kann. Mit einem stehenden Haushalt hätten wir die Möglichkeit, uns dazu zu äußern.
// Also kann man jetzt auch noch gar nichts zur Jahresgestaltung für 2021 sagen? Im „Beuys-Jahr“ eröffnen sich ja viele Möglichkeiten, gerade für die Kulturszene…
Doch, kann man! Zweifelsohne ist Beuys weltweit einer der bekanntesten Krefelder – wenn nicht der bekannteste Krefelder! Das wollen wir natürlich nutzen, für Krefeld, aber auch über die Stadtgrenzen hinaus. Wir haben in den letzten Jahren die Parole ausgerufen, Krefeld auf die Landkarte zu bringen. Wir müssen die Marke Krefeld durch Kultur transportieren lassen, das gilt auch für Beuys. Also werden wir mit Veranstaltungen des Theaters, Lesungen, Vorträgen und natürlich Ausstellungen im KWM das Beuys-Jahr begehen und hoffen natürlich, auf diese Weise viele Leute zu erreichen. Sofern das physisch vor Ort nicht möglich ist, werden wir versuchen, es zumindest online erfahrbar zu machen.
// Da klingt Optimismus durch. Haben Sie ein persönliches „Kredo“ für das kommende Jahr?
2021 wird ja noch mal ein Krisenjahr sein. Ich bin da ganz bei Helmut Schmidt, der einmal gesagt hat: „In der Krise beweist sich der Charakter“ Und in Krefeld haben wir ganz viel tollen und starken Charakter.
// Vielen Dank für das Gespräch!
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