Wer bei ihr studiert, vergisst die gebürtige Schwäbin mit der erfrischen direkten Art nicht – ihre Alumni schwärmen nach Jahren noch von „Nora“ und ihrem sympathischen, direkten Vermittlungsstil. Wer der kreativen Wahlkrefelderin in den Sozialen Medien folgt, wird angesteckt von ihrer Begeisterung für Formen, Ideen und Initiativen. Und wer ein bisschen googelt, findet Bücher, Künstler-Kalender und Statement-Stempel, die sie gestaltet, wenn neben den vielfältigen Pflichten der Typografie- und Editorial-Design-Professur noch Zeit bleibt. „Quatsch machen“, nennt Nora das. Wir haben uns mit der Design-Dekanin der Hochschule Niederrhein über ihren unkonventionellen Werdegang, die Frage nach der richtigen Form und den Wert städtischer Diversität unterhalten.
// Erstmal zu den Basics: Wie sind Sie zum Design gekommen?
Indem ich vorher was ganz anderes gemacht habe. Mein Berufswunsch nach dem Abitur war eigentlich Goldschmiedin. Aber Lehrstellen gab’s einfach so gut wie nicht. Ich habe keine bekommen, und da habe ich eine Ausbildung gemacht, zur Reisebürokauffrau.
// Ok, das ist ja wirklich was komplett anderes.
Ja, das war das einzige, was übrigblieb. In dieser Zeit habe ich in einer Setzerei Korrektur gelesen – und dort bin ich in Kontakt gekommen mit Designern. Und das fand ich spannend: was die alle so machten und was die für Entwürfe anschleppten. Eine dieser Designerinnen sagte zu mir: „Wenn du willst, kannst du auch am Wochenende bei mir arbeiten, einfach mal reingucken“. Das fand ich sensationell! 1981 habe ich mich dann an der Fachhochschule Düsseldorf beworben. So bin ich zum Design gekommen.
// Und wahrscheinlich auch zum Schwerpunkt Typografie, oder?
Ja, das mit dem Zeichnen fiel mir schwer, und das mit der Typografie war meine Rettung, das liebte ich. Und ich habe relativ früh mein Talent entdeckt, das Vorstellungsvermögen zu haben, um Bilder und Texte für viele Seiten Buch interessant zu komponieren.
// Und liegen jetzt Bücher im Buchhandel, die Sie gestaltet haben?
Ja, ich habe Bücher, Kunstkataloge und auch Magazine gestaltet. Nach meinem Diplom war ich selbstständig in Düsseldorf.
// Wie ging es dann an die Hochschule in Krefeld?
Ab 1996 hatte ich nebenbei Lehraufträge an der Fachhochschule in Düsseldorf und ab 2004 auch hier an der Hochschule an der Petersstraße. Dann wurde eine Professur für Typografie und Editorial Design ausgeschrieben. Ich habe mir eigentlich gar nicht so viele Chancen ausgerechnet, mich aber beworben und bin es tatsächlich geworden. Das war 2007. Die Umstellung von Privatwirtschaft auf öffentlichen Dienst war erst mal nicht einfach. Da muss man aufpassen, in welche Fettnäpfchen man treten kann – aber es macht mir unheimlich Spaß. Ich bin aufgegangen in dem Arbeiten mit den Studierenden.
// Ja, ich sehe oft, dass Sie Projekte der Studierenden posten. Da werden ja wirklich großartige Sachen geschaffen.
Ja, wir haben viele tolle Studierende! Manche entwickeln sich langsamer, manche laufen von Anfang an fast von selber. Die kann man höchstens zu einer schönen Schriftwahl ermuntern (lacht), hinterfragen, anstupsen. Wir können uns übrigens auch duzen.
// Gerne. Was ist denn eigentlich konkret der Kern eines Designstudiums?
Unser Kerngeschäft ist es, im Projektstudium ab dem dritten Semester dafür zu sorgen, dass die Aufgabenstellungen ausreichend hinterfragt und systematisch analysiert werden: Wofür soll es gut sein? Was ist der Sinn von dem, was du gestaltest? Hilft es jemandem, ist es nützlich, informiert es gut, macht es die Welt ein kleines bisschen schöner oder sogar besser? Und natürlich die Frage der Nachhaltigkeit: Produziere ich damit Müll, oder kann ich das vermeiden, wenn ja, wie? Ohne dieses genaue Hinsehen werden Ergebnisse beliebig. Das üben wir im Studium: Zielgruppen einengen, genau hingucken, analysieren, zielorientiert zu gestalten. Man sieht ja, was dabei rauskommt, wenn man für alle gestaltet. Wahlplakate – oder Waschmittel-Werbung, die immer noch so aussieht wie vor 100 Jahren.
// Du als eine Person, die sich mit Formgebung beschäftigt: Nervt es dich nicht manchmal, dass es in Krefeld viele Ecken gibt, an die man mal „ran“ müsste? Fehlt es Krefeld an Formgebung?
Das ist ein ziemlich schwieriges Thema. Was ist die richtige Form? Für mich ist die richtige Form eine ganz andere als für Frau Müller um die Ecke. Frau Müller findet vielleicht einen ganz anderen Stuhl toll als ich. Und wie komme ich dazu, zu behaupten, dass mein Stuhl der bessere wäre? Deshalb finde ich es kritisch, wenn man nur von der Form ausgeht. Man muss von einem Nutzen für die Stadt ausgehen. Wie möchte ich meine Stadt gestalten, dass sie freundlich wirkt? Und da hilft es nicht, wenn ich sage „Wow, das Dach ist aber geil“ oder „Die Farbe ist schick“. Das zählt alles mit dazu, man kann im Kleinen viel machen, aber die Grundstruktur muss stimmen. Für eine lebendige Stadt man braucht man mehr Orte, wo man sein kann. Ich habe leider das Gefühl, man hat Angst davor, Aufenthaltsorte zu schaffen in der Annahme, es kämen nicht die richtigen Leute dorthin. Siehe Theaterplatz. Das zum Beispiel ist ein echtes Gestaltungsproblem.
// Stimmt, zumal der Theaterplatz meiner Ansicht nach vor allem deshalb in seinem jetzigen Zustand ist, weil Gastronomie, die einmal dort war, weg ist und regelmäßige Veranstaltungen an andere, noch zentralere Orte verlegt wurden.
Genau, es muss was los sein, damit sich öffentliche Orte auch ein Stück weit von selbst regulieren – und dafür muss die Infrastruktur drumherum stimmen. Das Problem mit dem Theaterplatz ist auch das Problem der Sankt-Anton-Straße, finde ich. Da mache ich mich jetzt unbeliebt, aber ich finde, die Verkehrsführung dort müsste einspurig sein mit Tempo 30, Bäume müssten gepflanzt werden als Inseln zur Verlangsamung des Tempos, man müsste dort flanieren können, damit der nördliche Teil der Innenstadt bis zum Nordwall hin wieder zum Rest dazu gehört. Es ist so schade, dass das Viertel abgeschnitten ist – auch weil dadurch der eigentlich sehr schöne Rathausplatz mit der Achse zum Theater hin nicht genutzt wird. Ich würde versuchen, an so großen Stellschrauben zu drehen. Neue Nutzungskonzepte entwickeln – aber da ist Krefeld ja auch schon dran. Krefeld hat wahnsinniges Potenzial, die interessante Geschichte, das kulturelle Erbe, diese tollen Gebäude! Ich mag auch dieses „Kraut und Rüben“ in der Südstadt. Das ist ein echtes Leben, es ist keine schöne Fassade. In Düsseldorf ist das Gros der Stadt vorzeigbar, da geht man leichteren Herzens durch die Straßen – man ist in so einem Mittelstandsgefüge, in dem man sich wohlfühlt. Das ist hier schwieriger, aber es entspricht natürlich viel mehr der Realität der gesamten Bevölkerung. Das holt einen immer so ein bisschen auf den Boden, man wird dankbarer. Ich schätze das.
// Das beschreibt ja im Grunde auch das, was du in unserem Kampagnen-Statement gesagt hast, oder?
Was habe ich denn da noch mal gesagt? (lacht)
// Ich zitiere dich: Ein interessanter Ort lebt von seiner Diversität. Krefeld ist so ein Ort.
Ja, stimmt. Es wird sonst schnell langweilig.
// Du hast eben schon mal die „richtige Form“ angesprochen. Wie definiert man denn eigentlich „gutes“ Design? Wie findet man Gestaltungsparameter, auf die man sich einigen kann – auch im Hinblick auf eine Stadtgestaltung?
Was für eine schwierige Frage… darüber streiten sich Geister schon seit Jahrzehnten. Natürlich gibt es Gestaltgesetze und Grundlagen der Gestaltung, aber das genügt nicht. Viele Dinge kann man sehr wohl beurteilen, aber es stellt sich nicht die Frage: Ist etwas schön? Es ist auch die Frage, ob etwas schön ist. Um die Brücke zu unserer Historie zu schlagen: Friedrich Deneken war der erste Direktor vom Kaiser Wilhelm Museum. Auf dessen Betreiben wurde die Kunst- und Gewerbeschule eingerichtet, die zum Ziel hatte, Handwerker so auszubilden, dass sie auch einen Sinn für Schönes entwickelten. Da ging es viel um Ornament. Später kam der Werkbund, und der hat die Frage nach der guten Form gestellt. Da ging es um Qualität und Funktion. Um wieder von Stühlen zu sprechen: Es gibt bequeme und unbequeme Stühle – und ein unbequemer Stuhl, egal, welche Form er besitzt, erfüllt seine Funktion nicht. Es geht immer auch um die Frage: Welche Funktion soll erfüllt sein? Und es gibt ganz unterschiedliche Funktionen, die man berücksichtigen muss. Ich kann nicht dem Büdchenbesitzer, der zum Beispiel aus einem anderen Kulturkreis kommt, sagen: „Hey, dein Schild ist total mies gestaltet, das ist zu bunt und zu groß“. Für ihn erfüllt es seinen Zweck, und es holt die Leute ran, die er erreichen möchte. Zuviel Einheit ist nicht gut, das entspricht nicht dem echten Leben. Man kann nicht jedem Menschen und jeder Sache seine Gestaltungsmeinung überstülpen. Gestaltungssatzungen sind ein wichtiges Instrument, darauf zu achten, dass ein bestimmtes Gesicht der Stadt erhalten bleibt, aber man muss aufpassen, dass Diversität nicht ausgeschlossen wird. Wir müssen lernen, Ambivalenzen auszuhalten.
// Man sieht immer mal wieder, dass etwas von Studierenden für die Stadt designt wird – eine Weihnachtstraße oder so. Aber könnte das ganze Potenzial nicht noch besser genutzt werden?
Da passiert schon sehr viel. Ich erinnere an das tolle Viertelpuls-Festival des Kollegen Prof. Beucker im Samtweberviertel, Kooperationen mit dem KWM, dem Stadtmarketing, dem Kulturbüro der Stadt mit Ausstellungen unserer Studierenden und Lehrenden im Kunstverein, die Teilnahme am A-Gang mit der »designkrefeld sichtbar«, natürlich auch die Teilnahme am Weihnachtsmarkt mit der »designkrefeld wunderbar« und am Pottbäcker Markt. Auch die langjährig etablierte »designdiscussion« des Kollegen Prof. Schmid in der Fabrik Heeder und das »Krefelder Leuchten«, an dem der Studierende Kim Jakob Lares mit einer Installation beteiligt war… Aber wir müssen auch freie Aufgaben haben während des Studiums. Und jede Kooperation bedeutet auch einen großen verwaltungsrechtlichen Aufwand für die Lehrenden. Dazu kommt, dass wir keine Konkurrenz zu Agenturen sein dürfen und auch keine für unsere eigenen Aboslvent:innen sein wollen. Also, es gibt schon so viele Kooperationen, dass ich nicht sagen würde, wir wären zu wenig involviert. Ach, und toll ist natürlich, dass sich die Hochschule Niederrhein dafür einsetzt, die Hochschule mehr in der Stadt zu verankern. Dazu gibt es auch schon konkrete Pläne, die im Mai publik gemacht werden sollen…
// Dann bin ich ja mal gespannt, was wir als nächstes von euch zu sehen bekommen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Infos für Interessierte:
Auf der Werkschau Website designkrefeld.de/werkschau kann man in der ganzen Projektvielfalt der Studierenden stöbern. Natürlich sind auch neue Abonnent:innen der Instagramseite @hsnr_design gern gesehen! Alle weiteren Infos zum Studium und zum Fachbereich findet man unter: https://www.hs-niederrhein.de/design
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