Wenn man in die Geschichtsbücher der Stadt schaut, ist die Hochphase der lokalen Textilindustrie bereits über 200 Jahre her. Wo steht die Branche heute – und wie hat sie sich in der Zwischenzeit entwickelt?

Samt und Seide geben Krefeld ihren bis heute üblichen Spitznamen. Doch passt das wirklich noch? Wenn man in die Geschichtsbücher der Stadt schaut, ist die Hochphase der lokalen Textilindustrie bereits über 200 Jahre her. Wo steht die Branche heute – und wie hat sie sich in der Zwischenzeit entwickelt? Eine Einordnung.

18. & 19. Jahrhundert: Die Blüte

Im 18. Jahrhundert konnte sich Krefeld binnen kurzer Zeit zum wichtigen Textilstandort mausern. Gefördert durch Friedrich II. (König von Preußen) erhielt die Familie von der Leyen Monopolrechte in Sachen Textilproduktion und beschäftigte bald rund 4.000 Bürger, was der Hälfte der Stadtbevölkerung gleichkam. 1781 vermerkte Friedrich II., dass ab sofort von der Armee keine Rekruten mehr in Krefeld angeworben werden durften. Durch diese Protektion ermöglichte er den Fortbestand der Textilwirtschaft, sodass Krefeld die höchste Dichte an Webermeistern im gesamten Reich aufwies. Ein Großteil der Weber arbeitete damals als „Hausweber“ mit geliehenen Handwebstühlen in Heimarbeit. Einige der alten „Weberhäuser“ stehen heute unter Denkmalschutz – zu sehen Beispielsweise auf der Stephanstraße, Ecke Wiedenhofstraße. Im Gedenken an diese ausgestorbene Zunft wurde 1911 das Ponzelar-Denkmal errichtet.

Stoffe aus Krefeld waren weltweit gefragt: Sogar Napoleon Bonaparte kleidete sich in die textilen Erzeugnisse von Floh, Von Beckerath, Von der Leyen und Co. Neben den beliebten Krefelder Krawatten wurden auch Seiden- und Samtbänder, Paramenten, Borten, Tücher und Strümpfe erstklassiger Qualität produziert und zu einem Großteil exportiert. In der Folge wurde Krefeld wohlhabend und das Stadtbild sowie die hier ansässige Industrie stark von der neuen Branche geprägt: Um 1875 beginnt der dampfmaschinenbetriebene mechanische Webstuhl den Handwebstuhl zu verdrängen. Da für die Textilproduktion stets modernste Anlagen benötigt wurden, entstand rasch eine starke metallerzeugende sowie -verarbeitende und maschinenbauende Industrie. Der Bedarf an Laugen und Färbemitteln für begründete das schnelle Wachstum der hiesigen Chemie-Industrie.

OB Hansheinz Hauser überreicht Karl Lagerfeld 1973 das Goldene Spinnrad

Die Kriegsjahre: Ein schwerer Schlag für die Seidenindustrie

Ihren ersten Tiefpunkt erlebte die Samt- und Seidenindustrie während des Ersten Weltkriegs. Die Großunternehmen „Gebrüder Esters“, „C. Lange“ und „Kniffler-Siegfried“ schlossen sich angesichts der schwierigen Wirtschaftslage zur Vereinigten Seidenwebereien AG, kurz VerSeidAG, zusammen, die noch heute existiert. Ähnlich gingen auch andere Firmen vor. Inzwischen liefen Webprozesse vorwiegend elektronisch ab. Produziert wurden hauptsächlich Chemiefasern wie Futter- und Polsterstoffe, Plüsch, Samt, Stoffe für Autoplanen oder medizinische Gewebe. Seide spielt nur noch eine Nebenrolle.

Die 60er: Eine Renaissance

Zwar verschwand die Seidenindustrie mit Beginn des 20. Jahrhunderts langsam aus Krefeld, jedoch konnte sich die hiesige Textilbranche im Nachgang des 2. Weltkriegs wieder erholen: Betriebe wie die Girmes GmbH produzierten synthetische Stoffe, die in alle Welt exportiert wurden und setzte damit internationale Trends. Die 1879 gegründete Firma gehörte zu den standhaften Leuchtturm-Unternehmen der Textilbranche. Während die deutsche Textilindustrie einen Umsatzeinbruch von 7% verkündete, konnte sich die Krefelder Girmes GmbH im  Rekordjahr 1968 über einen Zuwachs von 12% freuen. Besonders beliebt war das Unternehmen auch deshalb, weil es seine Branche zelebrierte und sich traute, Trends zu setzen. Die Hauptversammlungen der Girmes GmbH wurden stets mit unterhaltsamen und originellen Modenschauen abgeschlossen, die eindrücklich zeigten, wie man Stoff immer neu erfinden und einsetzen konnte.

Ab Mitte der 60er Jahre gab es zudem ein jährliches Mode-Highlight in der Seidenstadt: Im November 1966 wurde erstmals das Goldene Spinnrad verliehen, das vielversprechende Jungdesigner mit richtungsweisendem Stil und originellen Ideen auszeichnete. Erster Preisträger war Pierre Cardin, der neben Paco Rabanne und André Courrèges als Begründer der futuristischen Mode und Wegbereiter des Prêt-á-Porter gilt. In den Folgejahren wurden auch Emanuel Ungaro, Christian Lacroix, Karl Lagerfeld und Wolfgang Joop mit dem Preis ausgezeichnet. Zum letzten Mal wurde das Goldene Spinnrad 1997 vergeben.

Und heute?

Auch wenn der lokale Produktionsfokus heute auf Industrietextilien liegt, gehört die Krawattenproduktion nach wie vor zu Krefeld. Einst einer der weltweiten Hauptproduktionsstandorte für das elegante Herrenaccessoire, existieren heute vergleichsweise wenige Anbieter – deren Schlipse jedoch nach wie vor prominente Träger wie Barack Obama oder Thomas Gottschalk mit ihrer Qualität überzeugen. Noch immer stammt mehr als die Hälfte aller in Deutschland entworfenen und konfektionierten Krawatten aus der Seidenstadt. Spezialhersteller wie Ascot, Ploenes und Co. haben sich der Herstellung von Krawatten, Herrenaccessoires und Festtagsgarderobe verschrieben. Zudem hat sich eine neue Strömung unkonventioneller Designer und Händler gefunden, deren modisches Angebot sich durch lokalen Bezug, Nachhaltigkeit und künstlerischen Anspruch auszeichnet.


Einige wichtige und vielversprechende Modeunternehmen der Seidenstadt und die dahinterstehenden Persönlichkeiten möchten wir euch vorstellen…

Ploenes
Feld
Weltdgewand-t
Truedat
Deadstuff

Über den/die Autor/in: Esther Jansen

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Tags: , , 0 Kommentare on Quo vadis, Seidenstadt?Veröffentlicht am: 7. Oktober 2020Zuletzt bearbeitet: 16. Februar 2023748 WörterGesamte Aufrufe: 544Tägliche Aufrufe: 23,9 Minuten Lesezeit

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