Der Wasserturm an der Gutenbergstraße. Eines dieser Gebäude, an denen die Krefelder hängen, das jeder kennt und gerne mal von innen sehen würde. Besonders, seit sein ähnlich schönes Pendant an der Gladbacher Straße vor knapp 50 Jahren weggesprengt wurde. Der Maler und Wahlkrefelder Wen Wu ist kürzlich in die alten Gemäuer eingezogen.

Immer mal wieder hat man Geschichten über das Leben innerhalb der historischen Backsteinmauern gehört. „Das hat so ein Millionär gekauft, meine ich“, „Der steht doch seit Jahren leer, oder?“, „Da hat mal eine finnische Metalband ein Musikvideo gedreht“ und sowas. Letzteres stimmt übrigens, Kyyria hieß die. Ich selber habe als Kind im Schatten des Wasserturms Klavierunterricht gehabt und mir damals vorgestellt, er könnte mal mein Wohnhaus sein. Einen ähnlichen Gedanken hatte der Wahlkrefelder Wen Wu gut zwei Jahrzehnte später – und im Gegensatz zu mir hat er ihn in die Tat umgesetzt.

Wer ist Wen Wu?

Seit Kurzem lebt und arbeitet der im chinesischen Lanzhou geborene Künstler im alten Wasserturm, dessen Erdgeschoss er für seine Bedürfnisse aufwendig denkmalgerecht umgestaltet hat. Der Weg, der den Maler hierher geführt hat, ist schon für sich eine Geschichte wert.

Wen Wu

Wen Wu lebt und arbeitet seit rund zwei Jahren in Krefeld. Kürzlich hat er den alten Wasserturm an der Gutenbergstraße bezogen.

„Ich wollte unbedingt an der Düsseldorfer Kunstakademie studieren. Die war damals sehr bekannt, auch durch Beuys. Nach dem Abitur bin ich mit dem Zug nach Deutschland gekommen. Über Sibirien, Polen und Berlin nach Köln. Ich war über zehn Tage unterwegs. Das war 1990, da war ich jung und mutig“, erzählt Wen bei unserem Besuch an einem der ersten milden Sonnentage dieses Jahres. Ein jung gebliebener Mann mit einem wahnsinnig freundlichen Gesicht. Dabei hat sich Wen in der Vergangenheit nicht unbedingt geschont. Fürs Nach-Deutschland-Kommen hatte das Geld damals gereicht, aber auch nicht viel weiter. „Also habe ich im Chinarestaurant in der Küche ausgeholfen. Und ich habe schnell rausgefunden, dass man als Porträtzeichner auf der Straße auch Geld verdienen kann. Also habe ich vor meinem Studienbeginn am Kölner Dom Menschen gezeichnet. Das Material dafür habe ich von dem Geld aus dem Restaurant gekauft.“

Und das, obwohl er nie ein Zeichner gewesen sei. Vielmehr war das Malen für Wen eine Berufung. In den Schulferien habe er Malkurse besucht und als Zwölfjähriger angefangen, regelmäßig mit dem Pinsel zu arbeiten. „Ich hatte schon als Kind die Idee, dass ich Künstler werden wollte. Sogar der beste Künstler der Welt!“, lacht er. Also studieren in Düsseldorf, als Meisterschüler von Professor Dieter Krieg. „An der Akademie lernt man fürs Leben. Da lernt man alles, sogar wie man Kaffee trinkt – allerdings nicht, wie man malt oder Kunst macht. Kunst an sich ist nicht lernbar. Das Wichtigste ist der Austausch mit den anderen Kreativen.“

Um dieses „Fürs-Leben-Lernen“ zu finanzieren, jobbt Wen unermüdlich – bei McDonalds, als Kurierfahrer, als Schreiner- und Schlosser-Aushilfe, im Düsseldorfer Schauspielhaus. „Mein Malen hat sich damals total verändert. Ich habe zum Beispiel irgendwann wahnsinnig schnell gemalt. Das war pure Aktion, expressionistisch“, erzählt er gestikulierend und lacht. „Warum? Weil ich im Chinarestaurant und bei McDonalds immer schnell, schnell, schnell sein musste. Die Bedingungen waren nicht besonders toll damals. Aber ich sehe diese Zeit als positive Erfahrung.“

Nach dem Kunststudium eröffnet der frischgebackene Absolvent erstmal einen eigenen Imbiss in Düsseldorf, die „Rote Laterne“, später auch noch das Restaurant „Böser Chinese“. Ohne gastronomische Vorkenntnisse. „Ich musste Geld verdienen. Aber das war eine lustige Zeit. Zwei Tage bevor ich geöffnet habe, hatte ich noch keinen Getränkelieferanten – total freestyle. Aber ‚nur Mut‘. In meinem Leben bin ich immer auf Risiko gegangen“, sagt er amüsiert. Und es funktioniert. Die Restaurants werden gefragt. Leute aus der Kreativszene, Studenten und Professoren der Akademie sitzen bis spät in die Nacht noch an Wens Tresen.

Es gibt Arbeitstage, die beginnen um acht Uhr morgens und enden erst um fünf Uhr früh. Mehrere Jahre lang leitet er seine Läden und malt in jeder freien Minute im Lagerraum des Bösen Chinesen. Dort, hinter einem Vorhang aus Küchendampf und Geschirrgeklapper, besuchen ihn sogar Düsseldorfer Galeristen. Als es ihm eines Tages zu viel wird, macht er den Cut und verkauft seine Gastronomien: Seit 2010 ist Wen „Vollzeit-Künstler“, 2013 stellt er bei der Biennale in Venedig aus und ist eine Zeit lang als Gastprofessor in Peking tätig.

 

Leben im Denkmal – Das Wuseum

Den Wasserturm hat er direkt von den Erben des vorigen Privatbesitzers erworben. Zuvor hatte das imposante Gebäude jahrelang leer gestanden, abgesehen von haufenweise Sperrmüll und anderen Hinterlassenschaften, die der Künstler in wochenlanger Arbeit beseitigen musste. Zwei Jahre lang hat er, gemeinsam mit Handwerkern, an dem modernen Anbau gearbeitet, der sich als Erweiterung des Erdgeschosses an den breiten Rumpf des alten Bauwerks schmiegt. Inzwischen kann er hier leben und arbeiten. Es ist relativ kalt in dem geschmackvoll eingerichteten Wohnraum. Die Heizung funktioniert noch nicht so richtig, und die knapp zwei Meter dicken Außenmauern des Wasserturms, die zum Teil die Innenwände des modernen Anbau-Wohnraums bilden, geben geduldig die gespeicherte Kälte des Winters ab.

„Dieses Gebäude so wenig zu schädigen wie möglich, war von Anfang an mein Ziel.
Deswegen haben wir zusammen mit einem bekannten Krefelder Architekturbüro diesen Anbau gestaltet.“

Wasserturm Gutenbergstraße

In Wens Wohnraum hängt ein großformatiges Fleischgemälde.

„Dieses Gebäude so wenig zu schädigen wie möglich, war von Anfang an mein Ziel. Deswegen haben wir zusammen mit einem bekannten Krefelder Architekturbüro diesen Anbau gestaltet“, erklärt Wen und führt uns durch sein Reich, augenzwinkernd ‚Wuseum‘ genannt, das er mit seiner Freundin und dem gemeinsamen Sohn bewohnt. Katalogwürdige Räume, liebevoll eingerichtet, sehr schlicht – mit sorgfältig platzierten Details, hier und da lehnt oder hängt eines von den Gemälden des Malers. Sogar das Kinderzimmer ist so stylish, dass man als Erwachsener neidisch werden könnte. In die Einrichtung des Badezimmers hat Wen einige Hinterlassenschaften seines Vorgängers eingearbeitet. Kitschig-goldene Armaturen, Handtuch- und Klopapierhalter geben dem sonst sehr schlichten Raum den Hauch eines französischen Hotels. Fast vergisst man, dass man hier in einem Wasserturm steht.

Das ändert sich, als wir einen kurzen Blick in die oberen Etagen werfen. Der Bauch des Turms beherbergt den wohl seltsamsten Fahrstuhl Krefelds: diamantenförmig, damit er an den runden Wänden emporgleiten kann. Durch die Glastüren lässt sich während der Fahrt das teils weiß verputzte, teils rohe Mauerwerk begutachten. Zwölf kleine Zimmer gibt es auf jeder Etage, allesamt geformt wie ein breites Kuchenstück, von dem jemand schon großzügig die Spitze abgegabelt hat. Obwohl die Räume leer und die Wände nackt sind, verstecken sich doch überall Kleinigkeiten, die erahnen lassen, was Wens Vorgänger noch mit ihnen vorhatte. In einem Zimmer sind Markierungen für eine Küche zu sehen, in einem anderen hätte scheinbar ein Heimkino entstehen sollen. An einer Wand pinnt die Einladung zu einer wilden Party aus dem Jahr 1999.

Der stille Turm muss eine lebendige Vergangenheit gehabt haben, sicher haben einige Geheimnisse nie die dicken Mauern des Backsteinriesen verlassen. Der gigantische Tank, die „Tasse“ des Wasserturms wäre das perfekte Atelier. Ein riesenhafter runder Raum, in den durch Oberlichter und hohe, schmale Seitenfenster das Tageslicht hineinfällt. Aber bisher kann Wen nur das Erdgeschoss für sich und seine Kunst nutzen.

Farbe und Form – Wen Wus Kunst

Zu guter Letzt dürfen wir uns auch die aktuellen Arbeiten des Malers ansehen. Besonders die Materialien und ihr Verhalten im Prozess interessieren Wen. Das Thema eines Bildes sei eigentlich gar nicht so wichtig. „Es geht nicht darum, was du malst, sondern wie du malst. Als Maler muss man viel probieren, viel Geduld aufbringen, das Herz mit der Hand verbinden“, sagt er. Auf seiner fortwährenden kreativen Entdeckungsreise hat Wen auch seine Technik des Bilder-Zerteilens entwickelt. Mit einem Allesschneider halbiert er seine dick-pigmentierten Werke und erschafft so spiegelbildliche Doppelmotive.

„Es geht nicht darum, was du malst, sondern wie du malst.
Als Maler muss man viel probieren, viel Geduld aufbringen, das Herz mit der Hand verbinden.“

 

Wichtig sei ihm auch, dass seine Kunst nicht beliebig, keine Massenware werde. Er male nur dann, wenn er das intrinsische Bedürfnis nach Pinsel und Leinwand verspüre. „Das muss natürlich passieren“, findet er. Malerei sei ein Lebensprozess, wie Trinken und Essen. Erinnerungen und Eindrücke dienen ihm als Vorlage für seine Kunst. Entsprechend viele Motive kommen aus dem Themenfeld Gastronomie. Wen hat Hähnchen gemalt, Kaffeetassen, Orangen. In seinem Wohnraum prangt ein gigantisches gepinseltes Stück Fleisch.

Wen WuSeine Arbeiten zeigt er vornehmlich in China, im Wen Wu Studio Beijing oder über die ihn vertretende Leo Galerie in Shanghai und Hongkong. Das liege auch daran, dass der asiatische Kunstmarkt lebendiger sei als in Deutschland. Deswegen pendelt Wen regelmäßig zwischen Krefeld und China hin und her. Aktuell plant er eine Ausstellung, die in Shanghai, Peking, Singapur und Südkorea gezeigt wird.

Sein nächstes Herzensprojekt ist aktueller denn je und soll nach Möglichkeit in Krefeld umgesetzt werden: Wen möchte mit Geflüchteten ins Gespräch kommen und deren letzten Blick auf die Heimat sowie den ersten Eindruck ihrer Ankunft in Deutschland thematisieren. Bisher habe er in seiner neuen Heimatstadt noch keine Gelegenheit zum Ausstellen gefunden – auch nicht im Wuseum. „Die Brandschutzauflagen für dieses Denkmal sind sehr streng. Ich muss Stück für Stück die einzelnen Teile des Turms für die Nutzung beantragen und dann entsprechend renovieren. Das ist ziemlich teuer“, erklärt Wen. „Aber ich träume einfach immer weiter.“

Hoffen wir, dass Wens Träume nicht mehr allzu lange welche bleiben. Der alte Wasserturm würde sich sicher auch über neue Erinnerungen und Geheimnisse freuen, die er hinter seinen stillen Mauern bewahren kann.

 

wenwustudio.com

 

Über den/die Autor/in: Esther Jansen

Ein Kommentar

  1. Silvia Westenfelder 7. März 2023 um 12:16 - Antworten

    Spannender Artikel, den ich sehr gerne gelesen habe!
    Danke!

Einen Kommentar hinterlassen

Dazugehörige Tags

Tags: , , , , , , 1 Kommentar on Wen Wu – Der Maler im WasserturmVeröffentlicht am: 6. März 2023Zuletzt bearbeitet: 1. Juni 20231605 WörterGesamte Aufrufe: 1190Tägliche Aufrufe: 18,2 Minuten Lesezeit

Ähnliche Beiträge

Unsere aktuelle Ausgabe online lesen

Du möchtest das kredo-Magazin lesen, aber es muss nicht die Print-Version sein? Hier kannst Du Dir die neueste Ausgabe als PDF im Ganzen ansehen und kostenfrei herunterladen.

Teile diese Story

mehr kredo, mehr lesen – weitere interessante Inhalte

Zum stöbern

Ein zufälliger Beitrag aus unserem Fundus:

Wir kennen KrefeldWir glauben an KrefeldUNSER KREDO – KREFELD AUS ÜBERZEUGUNG

Titel

Nach oben