Wie, Schiller jetzt? Was hat ein Dichter des 18. Jahrhunderts mit uns Menschen im Jahr 2022 zu tun? Mehr, als Sie glauben. Ich möchte Ihnen erklären, warum.
Friedrich Schiller kämpfte in all seinen Werken gegen die Unterdrückung und für die Freiheit, die eigenen Gedanken ohne Angst vor Ächtung aussprechen zu können. Dabei war Schiller kein ungestümer Revoluzzer. Als er selbst 1792 von der Republik Frankreich das Bürgerrecht verliehen bekam, war seine anfängliche Begeisterung für die Französische Revolution bereits verflogen, denn er sah mit Entsetzen die Gewaltherrschaft der Jakobiner und wandte sich angeekelt ab. Gewalt zugunsten der Freiheit war ebenso wenig eine legitime Lösung wie Unterdrückung zugunsten der Machtsicherung. So führe er es auch in einigen seiner Werke eindringlich vor.
Ein Beispiel. In der Ballade „Die Bürgschaft“ will Damon den herrschenden Tyrannen ermorden, er wird jedoch gefasst und zum Tode verurteilt. Um noch eine wichtige Familienangelegenheit erledigen zu können, bittet er um drei Tage Aufschub. Als „Pfand“ überlässt er dem Tyrannen seinen Freund. Dieser begibt sich aus Loyalität in die gefährliche Lage – wissend, dass er, sollte der eigentlich Verurteilte nicht rechtzeitig zurückkommen, an dessen Stelle gehenkt werden wird. Damon, dem auf dem Rückweg Hindernis um Hindernis begegnet, schafft es im letzten Moment noch, sich dem Tyrannen zu stellen, obwohl ihm die Leute raten, lieber das Weite zu suchen: „Zurück! Du rettest den Freund nicht mehr, so rette das eigene Leben“, wird ihm beschwörend zugerufen. Aber Damon geht weiter: „Des rühme der blutge Tyrann sich nicht, daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht – Er schlachte der Opfer zweie und glaube an Liebe und Treue. (…) Mich, Henker, erwürget!“, ruft er. Das Erstaunen ist grenzenlos, das Weltbild des Tyrannen erschüttert. Treue und Freundschaft, an die er vorher nicht geglaubt hatte, begegnen ihm hier in der edelsten Form. „Ihr habt das Herz mir bezwungen, und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn“, sagt er geläutert. „So nehmet auch mich zum Genossen an. Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte.“
Welch eine Wendung! Der äußerste Einsatz des Lebens für die Liebe und die Treue zueinander hat den Tyrannen erweicht. Seine Härte weicht einer menschlichen Einsicht.
In „Don Carlos“, einem Drama um Macht und Machtmissbrauch am Hofe des spanischen Königs Philipps II. und die Befreiung Flanderns von dessen Joch, begegnet der König dem Abgesandten aus Flandern, Marquis Posa. Dieser kämpft um die Eigenständigkeit und Religionsfreiheit Flanderns. In einer langen Diskussion machen beide Männer ihre Standpunkte deutlich. Der König will Ruhe in seinem Land: „Sehet in meinem Spanien Euch um. Hier blüht des Bürgers Glück in nie bewölktem Frieden, und diese Ruhe gönn ich den Flamändern.“ – „Die Ruhe eines Kirchhofs!“, kontert der Marquis und meint damit die Unterdrückung jeglicher eigenständigen Bewegung. „Ein Federzug von dieser Hand, und neu erschaffen wird die Erde: GEBEN SIE GEDANKENFREIHEIT…“
Die Freiheit soll die Willkür ersetzen.
Zwei prominente Beispiele, aber bei Weitem nicht die einzigen. Schiller betont diesen Gedanken, diese Vorstellung des Lebens ohne Unterdrückung, ohne Einschränkung des Denkens, in jedem seiner Dramen, genauso wie die Gefahren der Hybris und den Wert der Gemeinschaft.
Ideale, die heute aktueller sind, denn je. Friedrich Schiller starb 1805, hochberühmt und geschätzt in Weimar. Käme er heute zur Türe herein – welche Fragen würden wir ihm stellen?
– Prof. Dr. Ute Büchter-Römer
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