Julia Bethke ist gelernte Bühnenmalerin. Seit zwei Jahren in Krefeld lebend, bringt sie ihre umfassenden kreativen Fähigkeiten in der ganzen Stadt zur Anwendung – ob an Schulen, in Restaurants oder in der Alten Samtweberei.

Manche Menschen umgibt ihr Beruf, die tragen ihn wie eine Jacke, die versprühen ihn in ihr Wohnumfeld. Viele Journalisten stellen auch im Privaten viele Fragen. Designerinnen kleiden und umgeben sich mit Dingen, die ihre ästhetische Ausrichtung deutlich widerspiegeln. Anwälten geht das selbstsichere Auftreten und die juristische Rhetorik in Fleisch und Blut über. Bei Julia Bethke sind es die Farben und Texturen, die einem beim Besuch ihrer Wohnung sofort ins Auge springen. Jeder Raum ist bunt, an beinahe allen Wänden hängen Bilder, sogar die Gartenmauer zieren farbige Formen.

Handwerk

Julias Beruf hört eben nach Feierabend nicht auf. Er ist auch eigentlich gar nicht nur Beruf, sondern eine Leidenschaft, die die 31-Jährige als Jugendliche zufällig entdeckt und dann engagiert gepflegt hat: Julia ist Bühnenmalerin. Eine seltene Profession, die nur an drei Standorten in Deutschland gelehrt wird.

Schon als Kind wird sie von ihren Eltern stets darin unterstützt, sich kreativ auszutoben – dass hier der berufliche Fokus liegen könnte, ist früh klar. Sie besucht die Grund- und Realschule, absolviert ein Fachabi in Gestaltung. Und was macht man damit?

Julia Bethke, Bühnenmalerin, Jueliebe
Julia Bethke ist gelernte Bühnenmalerin – ein seltenes, vielseitiges Metier, das sie jetzt als selbstständige Künstlerin in verschiedenen Bereichen anwendet.

Julia entschließt, sich für ihr Pflichtpraktikum an der Deutschen Oper am Rhein zu bewerben. „Als ich da zum Vorstellungsgespräch gegangen bin, war ich richtig geflasht. Das, was die da gemacht haben, konnte ich noch nicht ansatzweise. Aber ich wollte es versuchen“, erzählt sie. Die großformatigen Arbeiten, die vielseitigen Techniken der Profis, motivieren sie, sich richtig ins Praktikum reinzuhängen. Hier lernt sie auch, dass „Bühnenmalerin“ eigentlich der falsche Begriff ist. „Das ist nicht nur mali-mali. Man muss auch viel schleppen, es ist sehr handwerklich. Man braucht schon gewisse körperliche Voraussetzungen“, sagt Julia bei einer Tasse Kaffee an ihrem großen, gemütlichen Küchentisch und schmunzelt.

Im Praktikum entdeckt sie ihre Begeisterung fürs Große: Gigantische Kulissen und Böden mit Maßstäben, die die Grundrisse der meisten Wohnungen übertreffen, faszinieren sie und fordern ihren Perfektionismus. „Das Schöne an dem Beruf ist, dass man sehen kann, was man geschafft hat“, findet sie.

Intuition

Julia umgibt immer etwas zutiefst Bescheidenes. Dabei ist sie von Anfang an erfolgreich in ihrem neuen Metier. In Essen, neben Berlin und Baden-Baden einer der drei anerkannten Bühnenmaler-Ausbildungsstandorte in Deutschland, absolviert sie nach dem Praktikum ihre dreijährige Lehre, die teils in Praxis am Theater und in Filmproduktionsstätten, teils in der Berufsschule, stattfindet. Später zieht sie weiter nach Duisburg, dann nach Hildesheim, wo sie prompt vor eine spontane Herausforderung gestellt wird: Ihr Malsaalchef verlässt mitten in der Spielzeit mit wehenden Fahnen das Haus. Es muss ein Ersatz her, damit der Betrieb weiterläuft. Und dieser Ersatz ist Julia. Ohne Ausbilderschein, als Berufsneuling, meistert sie die Aufgaben des Hauses und führt gleichzeitig Praktikanten in den Beruf ein. Nach einer dreijährigen Zwischenstation in Dortmund wird ihr die Stelle der Malsaalleitung in Neuss angeboten.

Illusion

Nach vielen Jahren Fernbeziehung hat Julia so auch endlich die Möglichkeit, mit ihrer Partnerin Nicole in Krefeld zusammenzuziehen. Seit drei Jahren leben Nicole und Julia nun in einem Haus in der Stadtmitte. Dass es Julias Familie gehört, erklärt auch die vielen Farben an Stellen, die vermutlich die wenigsten Vermieter anstandslos für kreative Selbstverwirklichung freigeben würden. Hier kann sich Julia auch in ihrer Freizeit voll austoben. Und hier begibt sie sich auch zum ersten Mal ins Abenteuer Selbstständigkeit: Mitten in der beginnenden Coronapandemie hat sie ihre Marke entwickelt: JueLiebe. „Mein Onkel hat mich früher immer Juelie genannt, den Namen fand ich schön. Kombiniert mit den ersten zwei Buchstaben meines Nachnamens, ist mein Künstlername entstanden: JueLiebe. Wie der ausgesprochen wird, darf jeder selber entscheiden“, verrät sie augenzwinkernd.

Julia Bethke, Bühnenmalerin, Jueliebe
Der bunte Phönix in der Shedhalle der Alten Samtweberei war eines von Julias ersten Projekten in Krefeld.

Ihr besonderes Steckenpferd sind Imitationen – täuschend echte Fliesen, Holz, Asphalt, Marmor oder Rost. Julia kann all das so naturgetreu gestalten, dass man zweimal hinschauen muss, um die Illusion zu entdecken. Dadurch wird ihre Arbeit ein Stück weit unsichtbar. Und je unsichtbarer sie wird, desto besser. „Man kann alles imitieren, was man sich vorstellen kann“, sagt Julia mit der ruhigen Stimme einer Person, die in der Lage ist, sich lange und tief zu konzentrieren. Aktuell bearbeitet sie innenstädtische Stromkästen so, dass sie mit ihrer Umgebung verschmelzen. Erst kürzlich hat sie dafür das aus ihrer Sicht beste Kompliment erhalten. „Ich habe einen Stromkasten so bemalt, dass er die Ziegel der dahinterliegenden Mauer imitiert hat. Irgendwann kam eine Oma vorbei und fragte: ‚Oh, was machen Sie denn? Spachteln Sie die Fugen zu?‘ Das war echt süß“, erinnert sie sich strahlend. Die perfekte Illusion.

Julia Bethke, Bühnenmalerin, Jueliebe
In ihrem Arbeitsraum herrscht auffallende Ordnung. Bald will Julia sich ein Atelier zulegen, um sich auch in großen Dimensionen austoben zu können.

Vielschichtigkeit

Seit sie hier lebt, hinterlässt Julia ihre Spuren in Krefeld, mal unscheinbar, wie die Mauer-Imitation, mal fantasievoll und strahlend-bunt. Über einen ersten Job für den Weihnachtsmarkt des Stadtmarketings kommt die Wahlkrefelderin auch in die Künstlergruppe, die für die Gestaltung des Seidenweberhauses zum Beuys-Jahr verantwortlich ist. Der in Honig badende Beuys, die Waben und Bienen auf dem Betonhexagon stammen ebenso von ihr wie der bunte Phönix in der Shedhalle der alten Samtweberei. Julia gestaltet Schulen, Praxen und Privatwohnungen, entwickelt besondere optische Effekte für die Gastronomiefranchisekette Purino, in deren Auftrag sie inzwischen Lokale in ganz Deutschland gestaltet. Heute ist sie nicht mehr „nur“ Bühnenmalerin, sondern bringt ihr umfangreiches Können in den verschiedensten Bereichen zur Anwendung.

Zentrum all ihrer Tätigkeiten ist das kleine, wohnliche Arbeitszimmer in ihrem Haus auf der Mariannenstraße. Hier stapeln sich Leinwände, Blöcke, Schablonen, Tuben und Spraydosen auffallend ordentlich, fein säuberlich nach Farben sortiert. Unweigerlich muss man sich Julia in einer dieser kalten, weißen Promiwohnungen vorstellen, die einem aktuell so häufig auf Instagram begegnen. Absurder Gedanke. Es sei denn, sie dürfte auch hier den Pinsel schwingen…

www.jueliebe.de

Über den/die Autor/in: Esther Jansen

Ein Kommentar

  1. Kerstin Ellinghoven 8. Dezember 2023 um 22:30 - Antworten

    Ein sehr informativer und lebendiger Artikel :-).

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Tags: , , , , , , , , 1 Kommentar on Juelie und die FarbenVeröffentlicht am: 2. September 2022Zuletzt bearbeitet: 16. Februar 20231042 WörterGesamte Aufrufe: 635Tägliche Aufrufe: 15,5 Minuten Lesezeit

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